Christiane F. – Mein zweites Leben (German Edition)
Greg hat es ihm nachgemacht. Soweit ich weiß, ist die ganze Familie heute clean, Speed ist ja auch noch mal etwas ganz anderes als Heroin. Es hat eine ähnlich aufputschende Wirkung wie Kokain, davon kommst du aber schneller wieder los.
Einmal habe ich Greg sogar nach Zürich eingeladen. Anna hat das alles bezahlt, damit ich mich nur wohlfühlte. Hätte ich mich selbst im Haus zu Besuch gehabt, hätte ich das auch so gemacht. Die Keels wollten lieber, dass ich unter ihren Augen bin, als dass ich irgendwo mit einem unbekannten Mann unbekannte Drogen nahm. Wie Eltern eben. Ich war ihre verlorene Tochter.
Ein Glück, dass Daniel all dies nicht mehr erfahren hat. Er wusste nicht, dass ich damals in Zürich auf die Szene ging. Aber es ging praktisch gar nicht anders: Zürich ist eine winzige Stadt mit einem riesigen Drogenproblem. Als Junkie bekommst du das sofort mit. Dann musste ich mir das natürlich gleich ansehen. In jeder Stadt ist der Bahnhof der Ort, an dem du die Junkies findest. Und der Platzspitz in Zürich ist vom Bahnhof nicht weit entfernt. Ganz so langweilig, wie ich eben sagte, ist Zürich also doch nicht. Allerdings hat das wenig mit Spaß zu tun.
So etwas hatte ich bis dahin noch nie erlebt. Am Platzspitz spielte sich alles ganz offen ab. Es gab einen Pavillon mitten im Park, an dem die Leute das ganze Jahr über campierten. Sie bauten da Tische auf, legten Löffel drauf, liefen dann rum und boten ihre Waren an: „Ich habe hier Braunes, wer kann Weißes dazugeben?“ Alles natürlich auf Schweizerdeutsch.
Ich weiß nicht, ob es heute noch so ist, aber ich schildere mal, wie ich es in Erinnerung behalten habe: Du kannst dich in aller Öffentlichkeit bedienen, wie an einer Wursttheke geht es zu. Jeder, der sich einen Druck setzen will, macht das an Ort und Stelle, zu Hunderten liegen die Leute da rum, manche haben am ganzen Körper offene Wunden, andere sehen aus wie tot.
In den Fußboden sind Millionen Spritzen eingetreten. Wie auf einem Schrottplatz sieht es aus. So viel machen, was ich wollte, ohne verfolgt und verhaftet zu werden, durfte ich noch nie.
Zum Teil wusste auch Anna gar nicht, dass ich noch in Zürich war. Dann habe ich mal hier und mal da geschlafen, bei irgendwelchen Leuten. Aber dann, im zweiten Jahr bei den Keels, wollte Anna plötzlich etwas von mir wissen: „Was machst du da eigentlich am Platzspitz?“ Und ich antwortete: „Komm mit, dann zeige ich es dir. Ihr habt hier auch euren Bahnhof Zoo.“
Und dann bin ich mit ihr dahin gefahren, in diesem kleinen Honda Civic. Das Auto parkten wir schön weit weg, damit selbst ein Knöllchen unseren Ausflug nicht hätte verraten können. Aber kaum hatten wir angehalten, standen schon die Bullen vor uns und wollten unsere Handtaschen und Personalausweise checken. Bei den knapp 2.000 Junkies dort laufen viele Bullen rum, und es gibt ständig Routinekontrollen. Anna bekam eine furchtbare Angst: „Wenn Daniel was erfährt!“
Sie hat den Platzspitz dann nie gesehen, stattdessen habe ich ihr doch erzählt, was sie verpasst hatte. Sie war schockiert, fragte mich aber immer mehr und mehr, auch über meine Vergangenheit. Plötzlich sah ich, dass sie weinte. Es war ihr in Mark und Bein gegangen, was ich so erlebt hatte. An dem Tag entschied ich, von nun an sehr vorsichtig damit zu sein, was ich ihr über mich und mein Leben sagte.
Als sie in einem Magazin über eine Frau Miller las, glaubte Anna, die Lösung für meine Probleme gefunden zu haben: Frau Miller machte Hypnose und der Bericht handelte davon, dass ein Mann sich damit ohne Narkose am Knie operieren ließ. Dass Frau Millers Therapie also Schmerz jeder Art beenden könne, auch seelischen. „Check das mal aus, das hilft dir bestimmt“, sagte Anna und meldete mich gleich zu zehn Sitzungen an. Eine Sitzung kostete 500 Franken, totale Abzocke, denn Frau Miller setzte mich nur auf verschiedene elektronisch betriebene Massagestühle und sagte dann, als hätte sie einen Sprung in der Platte: „Sie sind jetzt ganz ruhig. Ihr Körper und ihr Geist entspannen sich.“
Es war nett, immerhin wurde ich gekrault und konnte wegdämmern. Aber geläutert wirst du davon nicht. Im Gegenteil: Ich fragte mich, wie sich das ganze wohl auf H anfühlen würde?
Dass sich die Keels so rührend um mich kümmerten, hatte vielleicht auch mit ihren eigenen Konflikten zu tun. Bei meinen letzten Besuchen konnte Anna mir nicht mehr so viel Aufmerksamkeit schenken. Vielleicht wollte sie das auch nicht,
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