Christiane F. – Mein zweites Leben (German Edition)
stand permanent dermaßen unter Anspannung, dass sie die Schultern ständig angezogen hatte, um jederzeit ausholen und zuschlagen zu können. Sie saß immer wieder wegen Drogen, Überfällen, Totschlag oder Körperverletzung mit Todesfolge ein. Vor der Frau habe ich noch Angst gehabt, als ich längst wieder frei war. Wenn ich sie zufällig irgendwo in Berlin sah, bin ich ganz schnell weg, damit sie mich bloß nicht ansprechen konnte. Denn jede Antwort hätte die falsche sein können.
Rund ein Dutzend solcher Frauentypen saßen mit Tollkühn zusammen am ersten Tisch in der Kantine, furchteinflößend wie eine Footballmannschaft.
Das waren die, die im Knast das Sagen hatten, leider ist es ja meistens so, dass der Pöbel regiert.
Tisch zwei war der interessante, da saßen die hübscheren Frauen: Dealerinnen, Hehlerinnen, Prostituierte oder andere, von denen sich die Oberbossinnen irgendetwas versprachen: Drogen, Tabak, Kontakte oder sonst irgendwas.
Wenn du an Tisch Nummer drei sitzen musstest, warst du der Vollarsch, dann hast du besser in deiner Zelle gegessen, sonst sahst du die Krankenstation häufiger, als dir lieb war. Tollkühn und Team machten dich dann richtig fertig. Die hatten mit nichts ein Problem, nicht einmal damit, Scherben in deinem Essen zu verstecken oder dich mit einem Messer abzustechen. Aber zuerst kommandierten sie dich rum und bestraften Ungehorsam mit Prügel.
Noch viel schlimmer war die subtile, psychische Gewalt. Die flößen dir eine Höllenangst ein, bedrohen deine Kinder, deine Partner, deine Gesundheit, beleidigen dich, demütigen dich, machen dich fertig, bis du gefügig bist und alles machst, was sie von dir wollen. Es wird deine Überlebensstrategie, den Chefinnen zu dienen. Oder du hängst dich besser gleich auf.
Wo mein Platz war, sollte sich gleich am ersten Tag erweisen.
Unter den Mitinsassinnen hatte sich schon rumgesprochen, dass Christiane F. eingebuchtet wird, ehe ich den ersten Fuß in den Knast gesetzt hatte. Ich weiß nicht, ob es Neid war oder ob sie glaubten, ich sei irgendwie gefährlich, jedenfalls stellte ich irgendeine Art Bedrohung für viele dar. Und deshalb wollte man gleich am ersten Tag klarstellen, wer im Knast das Sagen hat.
Sie hetzten eine Schwangere mit einer Blechschippe auf mich. Ganz perfide. Auf der einen Seite darfst du dich nicht zu Brei hauen lassen, auf der anderen Seite kannst du gar nichts machen, um dich zu wehren, denn jeder Gegenschlag kann einer zu viel für das Baby sein.
Ich war gerade aus der Isolierhaft entlassen worden. In jedem Knast wird man erst einmal isoliert und medizinisch durchgecheckt. Im sogenannten Aufnahmehaus wirst du auf ansteckende Krankheiten untersucht. Es wird automatisch ein Aidstest gemacht und deine Lunge geröntgt, um zu checken, ob du frei von Tuberkulose bist.
Ich war kerngesund und machte mir gerade auf der Station, wo ich von da an zehn Monate leben sollte, einen Tee. Gleich neben dem Eingang gibt es auf jedem Korridor eine kleine Küche mit zwei Öfen und acht Herdplatten, die nachmittags und abends zur Verfügung stehen. Außerdem gibt es Kühlfächer, denn jede Frau hat ja auch ihre eigenen Lebensmittel.
Erst 30 Minuten lang war ich nun Häftling in der Frauenhaftanstalt Plötzensee. Ich brühte mir gerade meine Minze, es war später Nachmittag, als ich plötzlich von hinten eine Stimme hörte, die mit russischem Akzent sagte: „Na, wen haben wir denn da?“ Ein echt fieses Weib, klein, mit Flachkopf und schwarzem Damenbart, stand vor mir.
Ich dachte, dass sie gerade von der Knastarbeit gekommen sein musste, denn sie hielt in der einen Hand eine Blechschippe und in der anderen einen Besen. Sie sah verschwitzt aus, ihr dunkelblondes Haar war vom Fett gesträhnt. Am liebsten hätte ich mich über ihre sackähnlichen, beigen Hosen, über ihre Kartoffelnase und ihre furchtbar gedrungene Gestalt kaputtgelacht, aber ich merkte, dass sie nicht zum Lachen gekommen war und auch keinen Spaß verstand.
Trotzdem wollte ich nicht unhöflich sein, also stellte ich meine Tasse und den Wasserkocher beiseite, ging auf sie zu und streckte ihr meine rechte Hand entgegen. „Ich bin Christiane“, wollte ich sagen, aber dann wurde mir mit einem Schlag klar, dass sie das offenbar schon wusste, denn sie schmiss den Besen weg und holte mit der Schippe aus. Ich war noch außer Reichweite, das Blech krachte gegen die Wand links von der Tür. Schusssichere Verglasung, extra dick. Es war kein Sprung zu sehen, aber mein
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