Christiane F. – Mein zweites Leben (German Edition)
offenbar wussten die noch nichts von meinem neuen Tier.
Ich hatte zu dieser Zeit ja auch noch die Donna und den Igor und eben viele fremde Hunde. Aber die waren im Hundezimmer, bis auf Bronko, der saß artig wieder da, wo er Platz gemacht hatte, als ich die Wohnung verließ – nur dass alles um ihn herum komplett verwüstet und durchkämpft war.
Mit der Zeit bekamen meine Nachbarn den ganzen Terror natürlich auch mit und wurden immer kühler im Umgang mit mir. Nach und nach wurde mir klar, dass sie sich bewusst von mir fernhielten. Zur selben Zeit bemerkte ich, dass es andauernd Bohrungen im Haus gab, auch am Wochenende und nachts.
Irgendwann dämmerte mir, dass hier möglicherweise Abhöranlagen und Überwachungskameras installiert wurden. So ausdauernd kann kein Mensch irgendwelche Handwerkerarbeiten machen, da stimmte etwas ganz gewaltig nicht. Zumal auch immer wieder fremde Gestalten durch den Hausflur liefen. Menschen, die einfach kamen und wieder gingen, ohne irgendwo zu klingeln, ohne etwas abzuliefern oder einzuwerfen.
Ich wohnte im dritten Stock, unter mir und über mir gab es zwei Etagen. Ich bekam alles mit, sah alles, diese Leute waren dunkel gekleidet, trugen Anzüge und Aktenkoffer, manche einen Hut. Ich beobachtete sie, und dann verstand ich, dass sie mich beobachteten. Meine Nachbarn mussten all das mitbekommen haben. Darum wollte niemand mehr etwas mit mir zu tun haben. Wer sich mit mir abgab, geriet in den Fokus dieser Leute. So etwas will kein Mensch.
Als das Nachbarschaftsverhältnis völlig zerrüttet war, verkaufte ich meine Wohnung zu einem Spottpreis. Es war mir egal, ich wollte nur so schnell wie möglich da raus. Über Freunde von Freunden war ich irgendwie an die Wohnung in der Pflügerstraße gekommen, in der dieses Hochbett stand. Und für ein paar Jahre hatte ich tatsächlich Ruhe. Ich dachte schon selbst, ich hätte mir in der Reuterstraße etwas vorgemacht.
Doch als Phillip gerade erst vier war, da fingen die wieder an. Vielleicht haben sie Rücksicht genommen auf einen Säugling, vielleicht hatten sie sich so ruhig verhalten, weil Phillip noch ein Baby war. Aber als er in den Kindergarten kam, fingen sie wieder an mit Bohrungen. Wieder dasselbe Muster: Meine Nachbarn, die am Anfang so nett waren, bekamen irgendwann mit, dass etwas nicht stimmt. Sie tuschelten dann nur noch über uns, grüßten aber nicht mehr – bis auf eine Nachbarin: Jule.
Und die geriet dann auch in Schwierigkeiten. Sie hat einen Sohn in Phillips Alter, und die Jungs spielten gern miteinander. An einem Nachmittag bemerkte ich, wie sich jemand an ihrer Wohnungstür zu schaffen machte. Phillip saß gerade an seinen Hausaufgaben, als ich Geräusche gegenüber an der Tür hörte. Durch den Spion sah ich, dass ein dunkel gekleideter Mann am Schloss der Nachbarin rumkurbelte. Ich hatte ihn noch nie bei Jule gesehen, ich kannte den Mann nicht. Als Jule abends nach Hause kam, erzählte ich ihr von dem Vorfall. Sie meinte, das sei schon zweimal so gewesen, dass da etwas mit dem Schloss nicht gestimmt und sie gedacht habe, jemand sei bei ihr gewesen. Sie habe sich das aber so erklärt, dass es wohl ihr Vater gewesen sei, der einen Schlüssel von ihr hatte. Jule ist einige Monate später leider nach Bayern gezogen.
In Spandau war alles noch schlimmer. Wir haben unseren Kater zweimal vom Boden holen müssen, weil sie ihn da eingesperrt hatten. Wir wohnten im zweiten Stock, von alleine war Mickey da sicher nicht hochgekommen. Phillip war damals noch ein kleiner Junge, sechs, sieben Jahre jung. Und natürlich war er auf meiner Seite. Er ist bis heute einer der wenigen, die zu mir halten. Ich kann gar nicht sagen, wie viel mir das bedeutet. Jedes eigene Kind ist wohl der größte Reichtum der Welt. Aber wenn es dich beschützt und nie verrät, wenn es dich in deinen dunkelsten Stunden nicht aufgibt, gleichzeitig aber auch nicht sich selbst, dann ist dieses Kind ein Wunder.
Für mich ist er das, immer wieder. Tag für Tag, seit er geboren ist. Er sagt mir niemals, ich sei verrückt, ich bildete mir das alles nur ein.
Einmal saß er auf dem Boden in der Spandauer Wohnung und spielte mit seinen Legosteinen. Plötzlich legte er das rechte Ohr auf den Boden, dann sagte er: „Mama, die sind gerade da unten.“ Ich fragte erschrocken: „Was?“ „Psst. Sei leise“, ermahnte er mich. „Dienstag! Um drei Uhr am Dienstag, da planen die irgendwas.“ Und tatsächlich war gegen vier Uhr morgens am Dienstag unter uns lautes
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