Christiane F. – Mein zweites Leben (German Edition)
Dann steckt der Stecker vom Fernseher wieder drin, obwohl es immer meine letzte Amtshandlung ist, ihn rauszuziehen, ehe ich die Wohnung verlasse. Ich hasse unnötigen Stromverbrauch. Ich ziehe immer sämtliche Stecker aus den Steckdosen, bevor ich gehe.
Aber sie wollen, dass ich sehe, dass sie da waren. Nach ihren Besuchen ist da kein großes Chaos in meinem Appartement, so wie im Film. Nein, sie setzen kleine Zeichen, die nur ich verstehe, weil nur ich sie sehe – so wie damals, als im Gefängnis unsere Hütten gefilzt wurden.
Ob meine Observierung etwas mit meiner Zeit in Plötzensee zu tun hat, weiß ich nicht. Ich vermute eher, beweisen kann ich es aber nicht, dass all das auf meine Mutter zurückzuführen ist.
Anfang der Achtziger versuchte sie, mich entmündigen zu lassen. Das war irgendwann nach einem Rückfall, vor dessen Hintergrund man den Versuch meiner Mutter vielleicht sogar verstehen kann. Ich glaube, sie wollte mir auf ihre Art das Leben retten. Deshalb rief sie die Bullen. Ich denke mal, das will ich auf jeden Fall glauben, dass sie es gut gemeint hat. Sie hat sich immer sehr bemüht, dass ich von den Drogen loskomme. Sie war bei Synanon, Release, bei all diesen Beratungen, die es damals gab, als ich noch ein Teenie war. Und sie hat sich extra Urlaub genommen, damit ich während des Entzugs nicht abhaue.
Später, als das Buch draußen war und so ein Riesenerfolg wurde, dachte meine Mutter, ich sei dämlich genug, mich mit den falschen Leuten zu treffen, das Geld für krumme Sachen auszugeben oder mir Badewannen voller Heroin zu leisten. Aber das habe ich nie.
Wer kann von sich schon sagen, dass er mehr als 35 Jahre von Buchtantiemen lebt – zumal wir auch noch alles durch drei, also Horst Rieck, Kai Hermann und ich, teilen müssen.
Ich habe heute noch Geld, weil ich mich immer darum gekümmert und es ordentlich angelegt habe, zum Beispiel in renditestarken Lebensversicherungen. Das verdanke ich den Beratern meiner Bankfiliale in Neukölln. Ich meine, wer verkauft schon einem Heroinjunkie eine Lebensversicherung? Sie haben es getan, zweimal sogar. Beide habe ich nachher mit Gewinn ausbezahlt bekommen.
Das meiste Geld ist tatsächlich für meine Familie draufgegangen. Als ich mit 18 endlich meine Bücher und Karten zu den Konten bekam, auf denen das Honorar und die Tantiemen vom Buch eingezahlt worden waren, fehlten schon 100.000 Mark. Einen Teil davon hatte eine Tante dazu genutzt, ihren Mann auszuzahlen, als sie ihn verlassen hat. Das wusste ich. Aber was war mit dem Rest? Nie habe ich erfahren, was mit den 50.000 Mark geschah, die darüber hinaus fehlten. Und als ich aus Griechenland wiederkam, hatte ich nur genauso viel Geld wie vorher. Es fehlten die Zinsen, die ich in den sieben Jahren hätte bekommen müssen.
Diese Leute, die mich bis heute verfolgen, sind mir auch nach Griechenland hinterhergereist. Einer von ihnen war ein Ginger, ein Rothaariger. Ich wusste nicht, dass man die so nennt, aber offenbar ist das ein Schimpfwort, abgeleitet von dem Ginger-Gen, das für die weiße Haut, die roten Haare und die Sommersprossen sorgt.
Von Panagiotis hörte ich das Wort zum ersten Mal. Der Mann war Deutscher. Ein massiger Kerl. Immer verschwitzt. Er trug Birkenstock-Sandalen, hatte rotblonde Beinhaare und ganz dicke Waden in viel zu engen Shorts.
Es war das Jahr, in dem ich mich aller Wahrscheinlichkeit nach mit Hepatitis ansteckte, weil unser Spritzbesteck stumpf geworden war und ein Fremder uns mit seinem ausgeholfen hatte. Das war 1989.
Bevor ich den Ginger das erste Mal sah, waren wir in Berlin gewesen, um Material und Geräte für unseren Tattooladen zu kaufen. Doch am Abend, ehe es mit einem Billigflugticket für 180 Mark über Bukarest zurück nach Kreta gehen sollte, war plötzlich mein Ausweis verschwunden. Die haben mir den geklaut, das wusste ich, denn die wollten ja mit, und irgendwie war ich denen wohl zu schnell, sie hatten noch nicht mit meiner Abreise gerechnet.
Wir haben alles in meiner Wohnung durchsucht, aber der Ausweis blieb verschwunden. Ich habe Panagiotis dann überredet, allein vorzufliegen.
Er war sauer und überzeugt davon, ich zöge eine Show ab, um mir allein noch ein paar Gramm Heroin zu genehmigen. Denn wenn wir zurück sein würden, stand Entzug auf dem Programm. Panagiotis wollte das. Ich denke, wenn er heute noch lebt, dann ist er clean. Er hat sich gehasst dafür, ein Junkie zu sein, dass die Libido eingeht, die Manneskraft nachlässt, alles
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