Christianisierung und Reichsbildungen - Europa 700 - 1200
erhob. Doch erzwang schon 877 eine schwere Erkrankung seine Rückkehr nach Bayern, wo die Herrschaft auf seinen Bruder Ludwig den Jüngeren (876–882), den Teilkönig von Sachsen und Franken, überging, während der Jüngste, Karl III. (876–887), zunächst nur Teilkönig von Schwaben und Elsaß, 879 über die Alpen zog und 881 in Rom die Kaiserkrone empfing. Damit nicht genug, fiel ihm 882 durch den Tod Ludwigs des Jüngeren die Gesamtheit des Ostfrankenreiches und Lotharingiens zu, 885 auch noch Westfranken, nachdem die beiden dortigen Könige nacheinander tödlich verunglücktwaren. Ohne aktives Bemühen war Karl III. unversehens zum Universalerben des Großreiches geworden, das sich indes nicht mehr wie zur Glanzzeit um 800 von einem einzigen Zentrum aus zusammenhalten und verteidigen ließ, sondern zu einem Verbund von Teilreichen mit jeweils selbstbewußtem Adel geworden war und im Norden wie im Süden von den Attacken der Normannen und der Sarazenen herausgefordert wurde. Als Alleinherrscher stand Karl auf verlorenem Posten, zumal er spätestens Ende 886 schwer erkrankte und nach mehr als zwanzigjähriger Ehe keinen Sohn hatte, der Vertrauen in die Zukunft seines Regiments wecken konnte. Als sich im November 887 Markgraf Arnolf von Kärnten, ein illegitimer Sohn seines verstorbenen Bruders Karlmann von Bayern, gegen ihn erhob und die Unterstützung führender Adelskreise des Ostreiches fand, «ließen ihn alle vollkommen im Stich, so daß selbst einige abgefallene Diener eilends sich König Arnolf anschlossen»[ 82 ], noch bevor er am 13. Januar 888 seinem Leiden erlag.
Relativierung der Königsmacht
Im Sturz Kaiser Karls III. gipfelte eine Entwicklung, die im Verlauf des 9. Jhs. das Eigengewicht der Adelsherrschaften immer stärker zur Geltung gebracht hatte. Waren die Großen seit jeher schon unentbehrliche Stützen der politischen Ordnung gewesen und nur bedingt einem zentralen Willen unterworfen worden, so erwiesen sie sich erst recht im Zuge der karolingischen Bruderkämpfe als notwendiger Rückhalt für den Erfolg der einzelnen Rivalen, ja sogar mitunter als die treibenden Kräfte der Auseinandersetzung und nahmen erkennbaren Einfluß auf die politischen und militärischen Entscheidungen. Im faktisch erblichen Besitz der von den jeweiligen Königen vergebenen Ämter und Lehen schwand ihre Bindung an das Reichsganze, und sie empfanden sich umso mehr, gestützt auf ihren regionalen Vorrang an Macht und Ansehen, als die Repräsentanten ihrer Teilreiche und Stammesgebiete nach innen und außen. In Krisensituationen, wie sie sich gegen Ende des 9. Jhs. häuften, waren es daher diese Großen, die sowohl gegen eingedrungene Feinde auf den Plan traten als auch bei strittiger Thronfolgeden Ausschlag gaben. Die Erfolgreichsten unter ihnen verstanden es, immer mehr königliche Amtsträger in ihren Bann zu ziehen, und gewannen so die Ausgangsposition, um schließlich in ihrem Regnum die Karolinger abzulösen.
Bis 887/88 war dieser Prozeß der regionalen Differenzierung und der erneuten Konzentration der Kräfte innerhalb der einzelnen Reichsteile unterschiedlich weit vorangeschritten. Am stärksten verselbständigt erscheinen die Großen der südlichen Länder, nämlich Italiens, des Rhônegebiets und Aquitaniens, die sich schon seit längerem auswärtigen Karolingern kaum noch gebeugt hatten und bald unter Führung einheimischer, meist vordem aus dem inneren Frankenreich zugewanderter Familien ihren eigenen Weg einschlugen. Auch in Ostfranken waren es die äußeren Grenzgebiete, in denen am frühesten wirksame Mittelgewalten hervortraten, und zwar im nördlichen und östlichen Sachsen, wo das mit den Karolingern verschwägerte Haus Graf Liudolfs († 866) eine führende Stellung einnahm, ferner in Thüringen, wo sich die Markgrafschaft gegen die Sorben zu einem besonderen Machtzentrum entwickelte und vor 880 an das Geschlecht der Babenberger überging, sowie in Bayern, wo die Grafen des Nord- und Donaugaus, der Ostmark und von Kärnten zu gesteigerter Befehlsgewalt gelangten. In Alemannien dagegen, bei den Franken an Rhein und Main sowie in Lotharingien ist ein ähnliches Ranggefälle unter den Großen zu dieser Zeit noch nicht zu erkennen. Im nördlichen Westfranken zeigt sich an der Familie der Robertiner, daß der bewaffnete Landesschutz (anstelle des Königs) den eigenen Aufstieg beförderte, denn es war ihr Stammvater, Graf Robert der Tapfere, der als Kommandant «zwischen Seine und Loire» 866 im
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