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Christianisierung und Reichsbildungen - Europa 700 - 1200

Christianisierung und Reichsbildungen - Europa 700 - 1200

Titel: Christianisierung und Reichsbildungen - Europa 700 - 1200 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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Kampf gegen die Normannen gefallen war, was in Sachsen seine Parallele hat im Schicksal von Liudolfs Sohn Brun, der 880 nahe der Elbe bei einer Abwehrschlacht gegen dieselben Feinde umkam.
    Nicht nur im Verhältnis von Königtum und Adel, sondern auch zwischen Monarchie und Episkopat trat während des 9. Jhs. ein merklicher Wandel ein, der als langfristige Konsequenz aus der karolingischen Kirchenreform und deren Rückbesinnung auf diekanonischen Normen der Spätantike zu verstehen ist. War schon die öffentliche Kirchenbuße, die Kaiser Ludwig der Fromme 822 in Attigny für eingestandene Verfehlungen im innerfamiliären Machtkampf auf sich nahm, eine unter Karl dem Großen schwer vorstellbare Szene, so leitete es geradezu eine neue Epoche ein, daß die fränkischen Bischöfe 829 erstmals seit Jahrhunderten ausdrücklich auf die Doktrin des Papstes Gelasius I. (492–496) von der höheren Verantwortung der geistlichen Hirten im Vergleich zu den weltlichen Gebietern zurückgriffen[ 83 ], um ein allgemeines Aufsichtsrecht in den öffentlichen Angelegenheiten in Anspruch zu nehmen. Zwar hat sich der Episkopat in den folgenden Konflikten des Kaisers mit seinen Söhnen von beiden Seiten in Dienst nehmen lassen, aber es fällt auf, daß sowohl bei der Absetzung Ludwigs (833) wie auch bei seiner Wiedereinsetzung (834/35) synodale Beschlüsse mit kirchenrechtlichen Sanktionen für erforderlich erachtet wurden. Im geteilten Frankenreich nach 840/43 verlor sich ziemlich rasch der Zusammenhalt der umfassenden Reichskirche. In den Teilreichen formierten sich gesonderte Hofkapellen und Königskanzleien, deren Leitung mit der Abts- oder Bischofswürde an einer der großen Kirchen im Lande verbunden wurde. Die politische Zuordnung der Bischöfe zu den einzelnen Karolingern bestimmte meist den Radius ihrer konziliaren Zusammenkünfte und kam überdies zum Ausdruck in vermehrter Beteiligung an den Beratungen des Hofes und der Reichsversammlungen, wo der Episkopat wesentlich zur Willensbildung beitrug. Dessen staatstragende Bedeutung wurde noch weiter unterstrichen durch die im Westreich seit 848 wieder aufgenommene und dann vom Erzbischof Hinkmar von Reims (845–882) rituell ausgestaltete Königssalbung. Sie bot zumal angefochtenen Herrschern legitimierenden Rückhalt, begünstigte andererseits aber die Neigung von Synoden – den westfränkischen mehr als den ostfränkischen –, über die gelasianische Zweigewaltenlehre hinaus das Königtum als ein von der Kirche verliehenes Amt aufzufassen, dessen Verwaltung dem Urteil der Bischöfe unterliege. Nicht das selbstgewisse Kirchenregiment Karls des Großen, sondern der spannungsreiche Dualismus von geistlicher undweltlicher Gewalt wurde zum historischen Erbe der Karolingerzeit.
    In gewissem Umfang hatte im mittleren 9. Jh. auch das Papsttum daran seinen Anteil. Nicht nur daß es seit 850 gelang, die Verfügung über die Kaiserkrone dauerhaft zurückzugewinnen, auch im Streit um die von König Lothar II. erstrebte Ehescheidung ergriff Papst Nikolaus I. die Gelegenheit, als oberster geistlicher Richter den Ausschlag zu geben. Er scheute nicht davor zurück, die ihrem König dienstbaren Erzbischöfe von Köln und Trier abzusetzen, und bewirkte letztlich, daß dem lotharischen Mittelreich die dynastische Zukunft versperrt blieb. Auch westfränkische Bischöfe, die gegen Urteile ihrer Metropoliten und Synoden nach Rom appellierten, konnten erleben, daß dort wirksam ihren Wünschen entsprochen wurde. Die Konstellation bildet den Hintergrund der um 850 in Erscheinung tretenden, aber wohl schon 835/36 im Kloster Corbie begonnenen pseudoisidorischen Fälschungen (mit 60 erfundenen Dekretalen von Päpsten der ersten drei Jahrhunderte als Kernstück), die darauf abzielten, die Rechtsposition der Diözesanbischöfe zu stärken, u.a. durch Unterstellung von Metropoliten und Synoden unter die Autorität des Apostolischen Stuhls, daneben aber auch beredter Ausdruck von kirchlichen Reformanliegen und gesteigerter kanonistischer Bildung sind. Die Fälschungen fanden zeitgenössisch nur begrenzte Beachtung und sind als Basis primatialer Ansprüche des Papsttums erst seit dem 11. Jh. voll wirksam geworden, wie überhaupt der Höhenflug päpstlicher Macht (auch gegenüber Byzanz) mit dem Tod Johannes’ VIII. 882 ein jähes Ende fand, da Rom fortan schutzlos dem Kräftespiel lokaler und regionaler Gewalten ausgeliefert war und in der lateinischen Welt massiv an Ansehen verlor.
Die ersten

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