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Christianisierung und Reichsbildungen - Europa 700 - 1200

Christianisierung und Reichsbildungen - Europa 700 - 1200

Titel: Christianisierung und Reichsbildungen - Europa 700 - 1200 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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nach Italien verbannte. Der dramatische Verfall der monarchischen Autorität wirkte einladend auf die Normannen, die von 834 an Jahr für Jahr an den Küsten des Frankenreiches auftauchten, und hatte im Inneren zur Folge, daß Ludwig der Fromme keine Teilungsregelung mehr treffen konnte, die Aussicht auf allgemeines Einvernehmen gehabt hätte. Weiterhin lag ihm und Judith vornehmlich an der Begünstigung Karls, des Jüngsten, für den sich neue Aussichten eröffneten, als ihm Ende 838 nach dem Tode Pippins Aquitanien zugesprochen werden konnte. Daraus ergab sich als letztes Konzept des alten Kaisers eine Zweiteilung zwischen Lothar und Karl zu Lasten Ludwigs, der auf Bayern beschränkt bleiben sollte. Gegen ihn zog der Vater noch einmal zu Felde, bevor er am 20. Juni 840 bei Ingelheim starb.
    In dieser offenen Situation entschied sich Lothar, der aus Italien herbeieilte, alle Kaiserrechte aus der Ordinatio von 817 für sich zu reklamieren, was rasch zum gegnerischen Bündnis seiner bislang verfeindeten Brüder Ludwig und Karl führte, während sich Lothar mit dem Neffen Pippin II. zusammentat, der in Aquitanien als Erbe seines Vaters genug Anhang fand, um dem Herrschaftsanspruch des von Kaiser Ludwig zuletzt eingesetzten Karl zu trotzen. Der Bruderkrieg entschied sich in der blutigen Schlacht von Fontenoy (841), in der Lothar und Pippin unterlagen, was die Sieger als ein Gottesurteil zugunsten des Teilungsrechts feierten. Der Geschichtsschreiber Regino meinte rückblickend nach 900, damals seien «die Kräfte der Franken derart geschwächt worden, daß sie seither nicht einmal mehr zum Schutz der eigenen Grenzen ausreichten, geschweige denn zur Erweiterung des Reiches»[ 79 ]. Nachdem Ludwig und Karl ihr Bündnis im Februar 842 in Straßburg durch wechselseitige Eide bekräftigt hatten, kamen im Sommer Friedensverhandlungen in Gang, bei denen Lothar den aquitanischen Pippin fallen ließ, um mit seinen Brüdern eine Dreiteilung vereinbaren zu können. Sie ging aus von der faktischen Hoheit Lothars über Italien, Ludwigs über Bayern, Karls über Aquitanien und regelte ihre gleichgewichtige Beteiligung an der Macht über die Kernländer. Das Ergebnis war der (im Wortlaut nicht überlieferte) Vertrag von Verdun aus dem August 843, worin Lothar ein um die Kaiserstädte Aachen und Rom gelagertes mittleres Teilreich eingeräumt wurde, das nach Westen gegen Karls Herrschaft etwa durch die Flüsse Schelde, Maas, Saône und Rhône, nach Osten gegen Ludwig durch Rhein und Aare (jedoch unter Ausschluß der Gegenden um Mainz, Worms und Speyer) sowie die Alpen begrenzt war. Die mühsam ausgehandelte Vereinbarung kam nicht ohne das Drängen der Großen zustande, war im Kern aber eine rein dynastische Regelung von Zuständigkeitsbereichen, die ohne Rücksicht auf vorgegebene ethnische oder sprachliche Zusammenhänge bis auf weiteres getroffen wurde und offen blieb für künftige familiäre Entwicklungen.
Das Regiment der Brüder und Neffen
    Im Bewußtsein der Beteiligten blieb das Frankenreich auch unter drei Herrschern als Gesamterbe des karolingischen Hauses bestehen. Die Zukunft der Teilreiche hing davon ab, ob der jeweilige Zweig der Familie sich durch männliche Erben fortsetzte und ob es den Königen gelang, ihren im vorherigen Erbstreit gewonnenen adligen Anhang innerhalb der neuen Grenzen zufriedenzustellen und dauerhaft an sich zu binden. Dies ist im Westreich Karls des Kahlen (840–877) und im Ostreich Ludwigs des Deutschen (840–876) geglückt, wo auf solche Weise der Weg in die französische und in die deutsche Geschichte geebnet wurde, während das Mittelreich Lothars I. (817/840–855) nur zwei Generationen von Herrschern erlebte und dann als Wurzel weiterer historischer Entwicklung ausgefallen ist.
    Solange Lothar lebte, sah er seine kaiserliche Rolle darin, um den Ausgleich unter den Brüdern bemüht zu sein. Auf dem Boden des Mittelreiches traf man sich 844, 847 und 851 zu «Frankentagen», auf denen regelmäßig «Frieden und Eintracht» bekräftigt sowie wechselseitig «Rat und Hilfe» versprochen wurden[ 80 ]. Gerichtet waren die Bekundungen der Gemeinsamkeit gegen sezessionistische Bestrebungen in Aquitanien, wo Pippin II. bis 852 seinen Erbanspruch gegen Karl den Kahlen verteidigte, aber auch gegen die Verselbständigung der Bretonen, deren Fürst sich um 850 mit dem Königstitel schmückte, und gegen die weiter zunehmenden Normanneneinfälle, die ebenfalls vornehmlich Karls Reich heimsuchten. Zu

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