Christianisierung und Reichsbildungen - Europa 700 - 1200
ganz Europas, aber doch eines überwiegenden und weiter wachsenden Teils davon ergeben hatte, die ohne Entsprechung in den anderen Kontinenten waren. Ausgehend vom karolingischen Frankenreich, dessen Schrittmacherrolle zu betonen ist, breiteten sich soziale, politische, religiöse und geistige Entwicklungen aus, die das Potential hatten, kennzeichnend zu werden für die historische Rolle Europas in der Welt. Davon soll resümierend in diesem Abschnitt die Rede sein.
Verdichtung und Urbanisierung
Allenthalben in Europa stieg seit der Jahrtausendwende die Zahl der Menschen kräftig an. Das Bevölkerungswachstum, begünstigt durch gute klimatische Bedingungen und das Ausbleiben größerer Epidemien, Naturkatastrophen oder Feindseligkeiten, ist nur punktuell an verläßlichen quantitativen Befunden meßbar, als umfassendes Phänomen aber deutlich abzulesen an den Konsequenzen, die damit auf den verschiedenen Lebensgebieten verbunden waren. So erforderte der steigende Bedarf an Nahrungsmitteln und natürlichen Rohstoffen eine beständige Forcierung der agrarischen Produktion, was durch verbesserte Anbaumethoden, vor allem aber die Ausweitung des nutzbaren Bodens im Zuge eines (häufig gelenkten) Landesausbaus erreicht wurde. Die massive Rodung von Wäldern, die Urbarmachung von Sumpfgebieten und die Kultivierung von Gebirgshängen schufen die Grundlage für zahlreiche neue Siedlungen und Verkehrswege, die das Erscheinungsbild weiter Landstriche veränderten. Darüber hinaus kam es zum großräumigen Ausgleich durch Abwanderung aus dichter bevölkerten Gegenden in zuvor spärlich besiedelte Regionen, was in Spanien und Frankreich von Norden nach Süden, in Mitteleuropa vornehmlich von Westen nach Osten und Südosten verlief. Den Landesherren, die dafür die Rahmenbedingungen schufen, brachte der Zuzug eine Festigung ihrer Herrschaft ein, aber auch die beteiligten Bauern profitierten vom gesteigerten Wert ihrer Arbeitskraft durch vermehrte Rechte und geminderte Lasten.
Die wichtigste Auswirkung des demographischen Wandels im Hochmittelalter war das Aufblühen der Städte, die als Zentren nichtagrarischen Wirtschaftens, also von Handel und Gewerbe, eine starke Anziehungskraft auf die Landbevölkerung hatten, sich daher rapide vergrößerten und vermehrten und seit dem 12. Jh. auch eigens gegründet wurden. Diese Urbanisierung änderte nichts daran, daß auch weiterhin der ganz überwiegende Teil der Menschen der Landwirtschaft verhaftet blieb, aber sie gewann doch für Lateineuropa eine Zivilisationsform zurück, die im östlichen Imperium (mit Konstantinopel) und in der islamischen Welt (Córdoba,Palermo, Kairo, Damaskus) seit der Antike nie untergegangen war. Im frühen 11. Jh. nahm die Entwicklung ihren Ausgang von Oberitalien, griff bald schon über die Alpen hinweg auf Deutschland, Frankreich und England aus und begann sich noch im 12. Jh. auch in Gebieten ohne alle römische Tradition zu verbreiten. Kennzeichnend für die Städte wurde ihre Abgrenzung vom agrarisch und herrschaftlich geprägten Umland nicht bloß durch eine sichtbare Stadtmauer, sondern vor allem durch einen spezifischen, von Ort zu Ort unterschiedlich weit entwickelten Rechtsstatus. Er verhieß den Bürgern (jedenfalls der ökonomischen Führungsschicht) persönliche Freiheit und die Teilhabe an einem genossenschaftlichen Gemeinwesen mit Organen der kollektiven Willensbildung, was sich in den meisten Fällen evolutionär ergeben hat und langfristig wirksame Impulse für das politische Denken in Europa mit sich brachte. Die Umsetzung von gemeinsamem wirtschaftlichen Erfolg in äußere Macht wird am frühesten im Aufstieg von Venedig sichtbar, das bereits um 1000 eine autonom bestimmte Rolle im Mittelmeerraum spielte und zum Vorbild für weitere italische Seestädte wurde, später im Lombardenbund, der Barbarossas Machtstreben in Reichsitalien Einhalt gebot. Aber auch die Geschichte des Imperiums nördlich der Alpen seit der späten Salierzeit sowie Englands und Frankreichs im 12. Jh. weist Situationen auf, in denen bürgerliche Kommunen ihr neuartiges Gewicht in der jeweiligen Reichspolitik geltend machten.
Handel und Kommunikation
Die Verdichtung des Zusammenlebens in Stadt und Land belebte den Warenverkehr, dem die Überschüsse des gesteigerten Getreideanbaus ebenso zugutekamen wie die Produktivität von Handwerk und Gewerbe. Zügig vermehrten sich periodische Märkte für den regionalen Bedarf, die gegen Zollabgaben der Aufsicht und dem
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