Christmasland (German Edition)
den Lautsprechern des Flughafens gekommen. Lady Gaga oder Amanda Palmer oder etwas in der Art. Irgendeine durchgeknallte Schönheit mit Klavier.
Lou blickte zu der aufgebrezelten Frau am Nachbartisch hinüber, die vage Ähnlichkeit mit Sarah Palin hatte.
»Hören Sie das?«, sagte Lou. »Er deutete zur Decke. »Die spielen Weihnachtsmusik! Mitten im Sommer!«
Die Frau, eine Gabel voll Krautsalat auf halbem Wege zu ihren geschminkten Lippen, starrte ihn fragend und leicht beunruhigt an.
»Dieses Lied«, sagte Lou. »Hören Sie das nicht?«
Die Frau runzelte die Stirn. Sie betrachtete ihn wie etwas, was man lieber nicht sehen wollte – eine Pfütze Erbrochenes zum Beispiel.
Lou warf einen Blick auf das Handy und sah, dass es Wayne war, der ihn anrief. Das war seltsam, schließlich hatten sie gerade erst vor ein paar Minuten getextet. V ielleicht war V ic mit der Triumph zurückgekehrt und wollte ihm jetzt berichten, wie die Maschine lief.
»Schon gut«, sagte Lou zu der Sarah-Palin-Doppelgängerin und machte eine wegwerfende Handbewegung.
Er nahm ab.
»Was ist los, Junge?«, fragte Lou.
»Papa«, sagte Wayne in rauem Flüsterton. Er klang so, als würde er mit den Tränen kämpfen. »Papa. Ich bin auf dem Rücksitz eines Autos. Ich komme nicht raus.«
Lou spürte einen leisen, beinahe sanften Schmerz hinter dem Brustbein, im Nacken und seltsamerweise hinter seinem linken Ohr.
»Wie meinst du das? Was für ein Auto?«
»Sie werden Mama umbringen. Die beiden Männer. Sie haben mich in ein Auto gesperrt, und ich komme nicht mehr raus. Es ist Charlie Manx, Papa. Und ein Mann mit einer Gasmaske …« Plötzlich stieß Wayne einen Schrei aus.
Im Hintergrund hörte Lou einen Knall. Und dann noch einen. Ein Feuerwerk, kam es ihm in den Sinn. Aber natürlich war es kein Feuerwerk.
Wayne rief: »Sie schießen, Papa! Sie schießen auf Mama!«
»Steig aus dem Auto«, hörte Lou sich sagen. Seine Stimme klang seltsam dünn und viel zu hoch. Er hatte kaum bemerkt, dass er aufgesprungen war. »Entriegel die Tür und lauf weg.«
»Ich kann nicht. Es geht nicht. Die Tür lässt sich nicht öffnen, und wenn ich versuche, auf den V ordersitz zu gelangen, lande ich immer wieder hier hinten.« Wayne schluchzte laut.
Lous Kopf fühlte sich an wie ein mit Gas gefüllter Ballon, der ihn zur Decke zog. Er lief Gefahr, den Boden unter den Füßen zu verlieren.
»Die Tür muss sich irgendwie entriegeln lassen. Schau dich um, Wayne.«
»Ich muss Schluss machen. Sie kommen zurück. Ich ruf dich wieder an, wenn ich kann. Bitte ruf nicht zurück. Das hören die sonst. Wahrscheinlich sogar, wenn ich den Klingelton ausschalte.«
»Wayne, Wayne!«, rief Lou. Er hatte ein merkwürdiges Klingeln in den Ohren.
Die V erbindung wurde unterbrochen.
Die Leute an den Tischen starrten ihn an. Niemand sagte etwas. Zwei Sicherheitskräfte kamen auf ihn zu, einer hatte eine Hand auf den geschwungenen Kunststoffgriff seiner .45er gelegt.
Lou dachte: Ruf die Polizei. Sofort. Aber als er das Handy senkte, um 911 zu wählen, glitt es ihm aus der Hand. Und als er sich vorbeugte, um es wieder aufzuheben, musste er sich an die Brust greifen, weil er dort plötzlich einen scharfen Schmerz verspürte. Es war so, als hätte ihm jemand eine Heftklammer in die Brust gejagt. Er stützte sich auf dem kleinen Tisch ab, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren, aber dann gab sein Arm nach, und er stürzte Kinn voran zu Boden. Im Fallen stieß er gegen die Tischkante, und seine Zähne schlugen aufeinander. Schließlich kam er mit einem lauten Stöhnen auf dem Boden auf, gefolgt von seinem Milchshake. Der Pappbecher zerplatzte, und kaltes, süßes V anilleeis ergoss sich über ihn.
Er war erst sechsunddreißig. V iel zu jung für einen Herzinfarkt, trotz seiner Familiengeschichte. Er hatte gewusst, dass es sich rächen würde, nicht den Salat zu nehmen.
Lake Winnipesaukee
A ls sie den Gasmaskenmann mit der Pistole sah, hatte V ic weglaufen wollen, aber ihre Beine gehorchten ihr nicht. Der Lauf der Waffe hielt sie in seinem Bann wie die Taschenuhr eines Hypnotiseurs. Sie hätte auch bis zur Hüfte in der Erde stecken können.
Dann richtete Manx sich auf und geriet in die Schussbahn, just in dem Moment, als die .38er abgefeuert wurde. Manx’ linkes Ohr wurde in einem roten Blitz weggerissen.
Manx schrie auf – offenbar eher aus Wut als vor Schmerz. Die Waffe wurde ein zweites Mal abgefeuert. Aus den Augenwinkeln sah V ic, wie die Kugel den Nebel rechts
Weitere Kostenlose Bücher