Christmasland (German Edition)
neben ihr aufwirbelte.
Wenn du noch länger hier rumstehst, wird er dich vor Waynes Augen erschießen, sagte die Stimme ihres V aters. Sie spürte seine Hand in ihrem Kreuz. Mach, dass du wegkommst.
Durch die Windschutzscheibe des Wagens sah sie ihren Sohn auf dem Rücksitz. Sein Gesicht war gerötet und starr, und er winkte heftig mit einer Hand: Los! Lauf weg!
V ic wollte nicht, dass er sah, wie sie die Flucht ergriff. Ihr früheres V ersagen war nichts im V ergleich zu diesem letzten, unverzeihlichen V errat.
Ein Gedanke schoss ihr durch den Kopf wie eine Kugel durch den Nebel: Wenn du jetzt stirbst, kann niemand mehr Manx finden.
»Wayne!«, rief sie. »Ich werde dich holen kommen! Wo immer sie dich hinbringen, ich werde dich finden!«
Sie wusste nicht, ob er sie gehört hatte. Sie konnte ihre Worte selbst kaum verstehen. In ihren Ohren fiepte es. Wie aus weiter Ferne hörte sie Manx rufen: Jetzt mach schon! Erschieß sie!
Ihr Stiefelabsatz quietschte im feuchten Gras, als sie sich umdrehte. Endlich schaffte sie es, sich in Bewegung zu setzen. Sie senkte im Laufen den Kopf, um den Helm abzunehmen. Dort, wo sie hinwollte, brauchte sie ihn nicht. Sie fühlte sich merkwürdig langsam. Sie schien nicht voranzukommen. Es war, als ob das Gras unter ihren Füßen wie ein Teppich Falten schlagen würde. Um sie herum herrschte Stille. Sie hörte nur das Trommeln ihrer Füße auf dem Boden und ihr lautes Atmen im Inneren des Helms.
Der Gasmaskenmann würde ihr eine Kugel in den Rücken jagen, und sie hoffte, dass sie gleich tot sein würde. Nichts wäre schlimmer, als gelähmt auf dem Boden zu liegen und darauf zu warten, dass er es zu Ende brachte. In den Rücken, dachte sie. In den Rücken, in den Rücken. Es waren die einzigen drei Wörter, die ihr V erstand im Moment aneinanderreihen konnte. Ihr gesamtes V okabular war auf diese drei Wörter zusammengeschrumpft.
Sie war halb den Hügel hinunter, als es ihr endlich gelang, den Helm abzunehmen und ihn von sich zu werfen.
Ein weiterer Schuss peitschte durch den Nebel.
Etwas hüpfte rechts von ihr über die Wasseroberfläche wie ein geflitschter Stein.
V ic lief über den Steg – die Bretter bogen sich unter ihrem Gewicht –, machte am Ende drei weit ausgreifende Schritte und sprang.
Sie kam auf der Oberfläche des Sees auf – das Bild der Kugel, die den Nebel durchschnitt, schoss ihr durch den Kopf –, und dann befand sie sich unter Wasser.
Sie tauchte bis tief auf den Grund, wo es dunkel war und die Zeit stillzustehen schien.
Irgendwie hatte sie das Gefühl, die trübe, grüne Unterwasserwelt gerade erst verlassen zu haben und jetzt in den ruhigen, erholsamen Zustand der Bewusstlosigkeit zurückgekehrt zu sein.
Sie glitt durch die kalte Stille.
Zu ihrer Linken, nur wenige Zentimeter entfernt, schoss eine Kugel durchs Wasser und trudelte in die Dunkelheit hinab. V ic zuckte zurück und wedelte blind mit der Hand, als könnte sie die Kugel wegschlagen. Ihre Hand schloss sich um etwas Heißes. Sie öffnete die Handfläche und sah etwas darin liegen, was wie das Bleigewicht einer Angelschnur aussah. Ein Wasserwirbel nahm es ihr aus der Hand, und es sank in die Tiefe des Sees hinab. Erst nachdem es verschwunden war, wurde ihr klar, dass es tatsächlich eine Kugel gewesen war.
Sie drehte sich um und machte einige kräftige Schwimmbewegungen mit den Beinen. Ihre Lunge begann bereits zu schmerzen. Als sie nach oben blickte, sah sie über sich die Oberfläche des Sees, eine helle silberne Schicht hoch über ihrem Kopf. Das Floß war noch vier oder fünf Meter entfernt.
V ic tauchte.
Ihre Brust fühlte sich an, als wäre sie mit Feuer gefüllt.
Sie tauchte weiter. Und dann hatte sie das schwarze Rechteck des Floßes erreicht.
Sie paddelte zur Oberfläche. Sie musste an ihren V ater denken und an das Zeug, das er benutzt hatte, um Gestein zu sprengen, die weißen Kunststoffpackungen voll ANFO . Ihre Brust war jetzt auch voller ANFO , jeden Moment würde sie explodieren.
Ihr Kopf schoss aus dem Wasser, und sie atmete keuchend ein und füllte ihre Lunge mit Luft.
V ic befand sich im dunklen Schatten des Floßes, zwischen den rostigen Eisenfässern. Es roch nach Teeröl und Fäulnis.
V ic bemühte sich, leise zu atmen. Jeder Atemzug hallte in dem engen, niedrigen Raum wider.
»Ich weiß, wo du bist!«, schrie der Gasmaskenmann. »Du kannst dich vor mir nicht verstecken!«
Seine Stimme klang hoch und kindlich. V ic wurde klar, dass er tatsächlich noch
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