Christmasland (German Edition)
weil sie ihre Zeit verschwendete, anstatt nach dem Jungen zu suchen.
Draußen in der Gasse schrillte eine Polizeisirene. V ielleicht hatte jemand den Wraith gesehen. V ielleicht hatten sie ihren Sohn gefunden.
»Nein«, sagte Pete. »Nicht den Armreif. Etwas anderes.« Er beugte sich hinter die Kasse, richtete sich wieder auf und legte einen silbernen Hammer auf die Theke. Am Hammerkopf klebten Haare und Blut.
V ic spürte, wie sich der Traum um sie herum zusammenzog, als wäre die Welt eine riesige Zellophantüte, die plötzlich Falten bekam und immer kleiner wurde.
»Nein«, sagte V ic. »Das will ich nicht. Deshalb bin ich nicht gekommen. Damit kann ich nichts anfangen.«
Draußen verstummte die Polizeisirene mit einem erstickten Squonk.
»Ich dafür aber umso mehr«, sagte Charlie Manx und packte den Hammer. Er hatte schon die ganze Zeit hinter der Theke gestanden – er war wie ein Koch gekleidet, mit einer blutverschmierten Schürze und einer weißen Mütze, die schief auf seinem Kopf saß. Auf der knochigen Nase hatte er einen Streifen Zinksalbe. »Du glaubst gar nicht, wie viele Köpfe ich damit schon gespalten habe!«
Er hob den Hammer, und V ic schrie und warf sich nach hinten, hinaus aus dem Traum und zurück in die
Realität
V ic erwachte und war sich sofort bewusst, dass sie ziemlich lange geschlafen hatte und dass etwas nicht stimmte.
Sie konnte Stimmen hören, von Mauerwerk und der Entfernung gedämpft. Die Sprecher waren offenbar männlich, auch wenn V ic nicht verstehen konnte, was sie sagten. Es roch schwach nach schwelendem Phosphor. Ganz vage hatte sie den Eindruck, dass sie einigen Aufruhr verschlafen hatte, eingeschlossen in dem schalldichten Sarg von Maggies Drogen.
Sie setzte sich auf, von dem Gefühl geleitet, dass sie sich anziehen und aufbrechen sollte.
Nach einigen Augenblicken wurde ihr klar, dass sie bereits angezogen war. Sie hatte nicht einmal die Turnschuhe ausgezogen, bevor sie eingeschlafen war. Ihr linkes Knie war dunkelblau geworden und so dick wie eines von Lous Knien.
In der Dunkelheit brannte eine rote Kerze, die sich im Glas des Aquariums spiegelte. Auf dem Schreibtisch lag ein Zettel; Maggie hatte ihr eine Nachricht hinterlassen. Das war sehr aufmerksam von ihr. Das Blatt wurde von ihrem Briefbeschwerer gehalten, Tschechows Pistole. V ic hoffte auf Anweisungen, eine einfache Abfolge von Schritten, um Wayne zu retten, ihr Bein zu heilen, ihren Kopf zu heilen, ihr ganzes Leben. Eine Mitteilung, wohin Maggie gegangen war, wäre allerdings auch in Ordnung: Bin kurz zum Spätverkauf, Nudeln und Medikamente besorgen. Bin gleich wieder da. xoxo.
V ic hörte wieder die Stimmen. Gar nicht weit weg schlitterte eine Bierdose über den Beton. Sie bewegten sich in ihre Richtung, und wenn sie nicht die Kerze ausblies, würden sie in die Kinderbibliothek hineinstolpern und das Licht durch das Aquarium schimmern sehen. Noch während ihr dieser Gedanken kam, wurde ihr klar, dass es schon fast zu spät war. Glas knirschte, Stiefelschritte kamen näher.
V ic sprang auf. Ihr Knie gab nach, und sie musste einen Aufschrei unterdrücken.
Als sie aufzustehen versuchte, verweigerte das Bein ihr den Dienst. Sie streckte es ganz vorsichtig aus – schloss die Augen, setzte sich über den Schmerz hinweg – und zog sich dann mit den Händen und dem gesunden Fuß über den Boden. Die Schmerzen ließen nach, aber peinlich war es dafür umso mehr.
Ihre rechte Hand packte die Lehne des Schreibtischstuhls. Ihre Linke umfasste den Rand des Schreibtischs. Ganz langsam zog sie sich hoch und beugte sich über den Tisch, darum bemüht, nicht sofort wieder das Gleichgewicht zu verlieren. Die Männer befanden sich im Nachbarraum, direkt auf der anderen Seite der Wand. Ihre Taschenlampen hatten sich noch nicht auf das Aquarium gerichtet, und V ic hielt es für möglich, dass sie den schwachen kupferfarbenen Kerzenschein noch nicht bemerkt hatten. Sie beugte sich weiter vor, um die Kerze auszublasen, doch in dem Moment entdeckte sie die Nachricht, die auf ein Blatt Briefpapier der Bibliothek geschrieben stand.
WENN DIE ENGEL FALLEN,
GEHEN DIE KINDER NACH HAUSE.
Das Papier war voller Wasserflecken, als hätte jemand vor langer Zeit die Nachricht gelesen und dabei geweint.
V ic hörte im Raum nebenan eine Stimme: Hank, wir sehen ein Licht. Darauf folgte das Knistern eines Funkgeräts – der Mann in der Zentrale gab eine verschlüsselte Nachricht weiter. 10-57 in einer öffentlichen Bibliothek,
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