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Christopher Ross, Clarissa – Im Herzen die Wildnis

Christopher Ross, Clarissa – Im Herzen die Wildnis

Titel: Christopher Ross, Clarissa – Im Herzen die Wildnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Ross
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ängstlich zurück. Der Indianer, dachte sie entsetzt, der Indianer hat Whittler überredet, noch einmal umzukehren, und Bones, der nur mein Bestes wollte, hat mich ihnen direkt in die Arme getrieben. Oder war Bones nur eine Gestalt in einem Albtraum, der kein Ende nahm?
    Der Indianer betrachtete sie jedoch eher verwundert, legte eine flache Hand auf ihre Stirn, als wollte er feststellen, ob sie unter Fieber litt, entfernte sich ein paar Schritte und kniete im Schnee nieder. Sie wandte den Kopf und sah, wie er die Wolfsspuren untersuchte. Bones war kein Trugbild, er war tatsächlich bei ihr gewesen. Sie beobachtete, wie der Indianer mit zwei Fingern über die Abdrücke strich und immer wieder ungläubig den Kopf schüttelte.
    »Hört-den-Donner hatte recht«, sagte er, als er zu ihr zurückkehrte. »Du bist Wolfsfrau, die weiße Frau aus der Geschichte, die er uns erzählt hat.« Sein Englisch war erstaunlich gut. »Du besitzt starke Medizin, sonst wärst du längst tot. Dann hätte ich dich im Schnee begraben müssen.« Er kniete neben ihr nieder und lächelte zuversichtlich. »Der Wolf hat dich auf unseren Jagdtrail geführt. Er wollte, dass wir dich finden. Ich bringe dich in unser Dorf.«
    Sie wollte etwas sagen, sich wenigstens bei ihm bedanken, brachte aber lediglich ein Lächeln hervor. Tapfer unterdrückte sie den Schmerz, als er sie vom Boden aufhob und zum Schlitten trug, sie auf ein warmes Bärenfell legte und sie mit zahlreichen Wolldecken mit den bunten Streifen der Hudson’s Bay Company zudeckte. Viele Indianer jagten Pelztiere für die Handelsgesellschaft, die sogar in Vancouver mit einem Handelsposten vertreten war.
    »Ich bin Bill Leonard vom Stamm der Shuswap«, sagte der Indianer. Er war ungefähr in ihrem Alter, vielleicht sogar etwas jünger, trug die Hosen und Stiefel eines weißen Mannes und einen indianischen Anorak aus Karibufell. Seine dunklen Haare waren kurz und ragten kaum unter der mit zwei Federn geschmückten Pelzmütze hervor. Er trug ein Gewehr auf dem Rücken.
    »Ich …«, stammelte sie, »ich bin …«
    »Du bist Wolfsfrau«, wiederholte er, »die weiße Frau, die wir bisher nur aus einer Geschichte kannten. Nur Hört-den-Donner wusste, dass es dich wirklich gibt. Alle anderen dachten, du wärst eine … Wie sagt ihr? Legende.«
    Sie gab es auf, ihren richtigen Namen sagen zu wollen, und sank dankbar auf das Bärenfell zurück. Sie war gerettet! Bones hatte sie auf einen geheimen Jagdtrail geführt, den nur die Indianer benutzten, und ihr das Leben gerettet. Ohne ihn wäre sie jämmerlich im tiefen Schnee erfroren. Was es mit diesem Hört-den-Donner auf sich hatte, wusste sie nicht, aber der Name passte zu einem Medizinmann, einem weisen Jäger, der den alten Traditionen verbunden war und mit den Geistern sprach. In Vancouver hatte sie gehört, dass einige dieser Medizinmänner sogar behaupteten, in die Zukunft blicken zu können.
    Auch von den Shuswap hatte sie schon gehört. Ein Stamm, der im Inneren von British Columbia lebte und inzwischen in Reservaten angesiedelt war. Sie lebten vom Fischfang und der Jagd, verbrachten die Sommer in ihren Sommercamps an den Ufern des Fraser und des Thompson Rivers und zogen im Winter in ihre festen Dörfer, wo sie ihre religiösen Feste feierten und Geschichten erzählten wie die von der Frau, die mit den Wölfen sprach. Trotz ihrer Benommenheit, die sich wie Nebel in ihre Gedanken schlich, musste sie lächeln.
    Sie schloss die Augen und gab sich der Müdigkeit hin, die noch stärker als ihre Schmerzen war und sie in einen unruhigen Dämmerschlaf gleiten ließ. Die Wärme, die von dem Bärenfell und den Decken ausging, war die reinste Wohltat. Ihre Glieder schmerzten ein wenig, als die Kälte aus ihnen wich, und in ihrem Kopf rumorte es, als Bill Leonard seine Huskys anfeuerte und den Schlitten über den holprigen Trail lenkte. Aber was war dieser Schmerz schon gegen die Freude und Erleichterung, zumindest vorerst in Sicherheit zu sein.
    Die Fahrt überstand sie in einem seltsamen Dämmerzustand, der sie zwischen seltsamen Träumen und der Wirklichkeit pendeln ließ. Der Rabe, der sie so eingehend gemustert hatte, tauchte über dem Schlitten auf und machte sich mit lautem Krächzen über sie lustig, und überall in den Baumkronen erschienen ihr die gelben Augen von Bones. Als sie die Augen öffnete, sah sie, dass Bill Leonard den Jagdtrail verlassen hatte und seine Huskys einen steilen Hang hinauftrieb, wo schneidender Wind und wirbelnde

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