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Christopher Ross, Clarissa – Im Herzen die Wildnis

Christopher Ross, Clarissa – Im Herzen die Wildnis

Titel: Christopher Ross, Clarissa – Im Herzen die Wildnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Ross
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gewesen, dass sie sich alles eingebildet hatte? War nur ein Hirsch durch den Wald getrabt oder ein Eichhörnchen von einem Ast zum anderen gesprungen?
    Sie sank zurück in den Schnee und dachte angestrengt nach, doch selbst das Denken tat ihr weh. Anscheinend hatte sie eine Gehirnerschütterung, so wie Alex vor einigen Tagen. Oder war es schon Wochen oder Monate her? Obwohl sie auch in seiner Hütte in der ständigen Gefahr gelebt hatte, von Frank Whittler oder einem Mann wie Crazy Joe entdeckt zu werden, war sie glücklich bei ihm gewesen. Glücklich und zufrieden, zwei Begriffe, die ihr in Vancouver nur selten in den Sinn gekommen waren. Nach dem Tod ihrer Eltern war sie weder das eine noch das andere gewesen, sie hatte widerwillig ihre Pflichten als Dienstmädchen verrichtet, um ihren Lebensunterhalt zu sichern, und wenig an ihre Zukunft gedacht. Es hatte kaum Männer in ihrem Leben gegeben und wenn, dann nur die falschen, und sie hatte bereits geglaubt, längst zu alt für die Ehe zu sein. Was für ein Unsinn, man war nie zu alt für eine dauerhafte Bindung, und wenn Alex auch nicht wie der legendäre Prinz auf seinem weißen Pferd aus den Bergen geritten kam, eher ein seltsamer Eigenbrötler zu sein schien und stets eine spöttische Bemerkung auf den Lippen hatte, war er doch genau der richtige Mann für sie gewesen, der Einzige, den sie wollte.
    Sie dachte in der Vergangenheit von ihm. Frank Whittler sorgte sicher dafür, dass er noch länger hinter Gittern blieb und keine Gelegenheit bekam, sie in der Wildnis aufzuspüren und ihr zu helfen. Jeder Versuch, sie aus ihrer misslichen Lage zu befreien, wäre sowieso zu spät gekommen. Sie lag fernab der nächsten Siedlung hilflos im Schnee, unfähig, sich zu bewegen, ohne Proviant, ohne Streichhölzer und ohne eine Möglichkeit, sich irgendwie bemerkbar zu machen. Sie konnte noch nicht einmal den Hang hinaufklettern und dort darauf hoffen, von einem Indianer oder Fallensteller entdeckt zu werden.
    »Alex!«, rief sie in ihrer Verzweiflung. »Alex, wo bist du?«
    Doch Alex war meilenweit entfernt, und die einzige Antwort, die sie bekam, war das Rauschen der Fichten im eisigen Wind und das leise Knistern, wenn er den Neuschnee neben ihr aufwirbelte. Ansonsten herrschte unheimliche Stille, beängstigend und bedrohlich sogar und so intensiv, als könnte man sie mit den Händen greifen. Sie beobachtete ein Eichhörnchen, das weit über ihr von einem Ast zum anderen sprang und sie nicht einmal zu bedauern schien, genauso wie der Rabe, der eine Weile über ihr saß und sie so lange und intensiv betrachtete, als hätte er ein persönliches Interesse an ihr.
    Längst spürte sie auch die Kälte. Sie kam mit dem Wind, der sich einen Weg durch die dichten Baumkronen bahnte, und aus dem gefrorenen Boden unter ihr, schien bereits ihren ganzen Körper auszufüllen und es darauf abgesehen zu haben, einen Körperteil nach dem anderen zu lähmen. Sie drehte sich auf die Seite und schrie laut auf, als stechender Schmerz durch ihren Rücken fuhr. Verzweifelt krallte sie ihre linke Hand in den Schnee. Eine starke Prellung, vermutete sie, zumindest war nichts gebrochen. Sie blieb eine Weile auf der Seite liegen und kämpfte gegen den Schmerz und die Übelkeit an, spürte plötzlich aber ein so starkes Würgen im Hals, dass sie sich in den Schnee übergab.
    Nur nicht aufgeben, redete sie sich Mut zu, jetzt nur nicht aufgeben. Wenn ich liegen bleibe, bedeutet das den sicheren Tod. Die Kälte wird mich umbringen, oder ich verhungere. Ein langsamer und qualvoller Tod. Ich muss auf die Beine kommen und auf den Trail zurückklettern, wenn ich wenigstens noch eine kleine Chance haben will. Nicht aufgeben, auf keinen Fall aufgeben, auch wenn die Schmerzen noch so stark sind. Du schaffst es!
    Sie stemmte sich vom Boden hoch und schrie vor Schmerz, stützte sich mit beiden Händen an einem Baumstamm ab und wartete stöhnend, bis der Schmerz etwas nachließ. Doch der Schwindel blieb, und als alles vor ihren Augen verschwamm, fiel sie erneut zur Seite und blieb leise weinend im Schnee liegen. Nur nicht aufgeben, schoss es ihr erneut durch den Kopf, verdammt, du schaffst es, so schlimm kann die Gehirnerschütterung nicht sein, wenn du noch einigermaßen denken kannst. Sie zog sich an dem Baumstamm nach oben, blieb schwankend stehen, stolperte zur Seite und kam auf ihrem verstauchten Fuß zu stehen, fiel schreiend zu Boden und war so weit wie vorher. Weinend blieb sie liegen, ausgepumpt und den

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