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Christopher Ross, Clarissa – Im Herzen die Wildnis

Christopher Ross, Clarissa – Im Herzen die Wildnis

Titel: Christopher Ross, Clarissa – Im Herzen die Wildnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Ross
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der Lokomotive um einen einmaligen Vorfall handelt, für den wir den Hersteller zur Verantwortung ziehen werden. Meine Angestellten halten heißen Tee und Sandwiches für Sie bereit, und ich lade Sie herzlich ein, sich im Luxuswagen der Canadian Pacific aufzuwärmen und ein wenig zu schlafen.« Er legte der älteren Dame, der Clarissa geholfen hatte, vertraulich eine Hand auf den Oberarm. »Für Sie steht ein bequemer Sessel bereit, Ma’am.«
    »Frank Whittler!«, flüsterte Clarissa entsetzt. Sie stützte sich mit einer Hand an einem der Wagen ab und blickte wie gebannt auf den Mann, der versucht hatte, sie zu vergewaltigen, und sie ins Gefängnis bringen wollte. Er war doch sicher nicht gekommen, um sich bei den Fahrgästen zu entschuldigen.
    Ihr Verdacht bestätigte sich schon im nächsten Augenblick. Denn kaum waren die Passagiere in den Wagen gestiegen, um sich den heißen Tee und die Sandwiches abzuholen, zog er den Schaffner zur Seite und sagte etwas, das sie nur bruchstückhaft verstand. »Diebin … allein reisende Dame … jung …«
    Der Schaffner antwortete so leise, dass sie gar nichts mehr verstand, vermisste sie aber wohl und blickte sich suchend um. Gleich darauf öffnete er die Wagentür und rief: »Sir! Darf ich fragen, wo sich Ihre Verlobte befindet?«
    »Meine Verlobte?«, versuchte Ralston, Zeit zu gewinnen. »Die wollte nur mal schnell … na, Sie wissen schon. Sie kommt sicher jeden Moment zurück.«
    »Wie heißt Ihre Verlobte, Sir?«, fragte Whittler. »Clarissa Howe?«
    »Helen … Sie heißt Helen. Wieso fragen Sie?«
    »In welche Richtung ist sie gegangen?«
    »Keine Ahnung. Wieso fragen Sie das alles?«
    Clarissa erkannte, dass ihr keine andere Möglichkeit mehr blieb als die Flucht. Wenn sie der Rache dieses verbohrten Mannes entgehen wollte, musste sie so schnell wie möglich verschwinden. Sie hatte nicht einmal mehr Zeit, die Tasche mit ihrem wenigen Hab und Gut mitzunehmen. Sie konnte froh sein, wenn sie ihr Leben rettete, und selbst das war in Gefahr, wenn sie den Blick in die Ferne richtete und die verschneite Wildnis vor sich liegen sah.
    Sie schlich zur Lokomotive und rannte auf den Waldrand zu.

7
    Über den Pfad, den die männlichen Passagiere beim Holzsuchen in den Schnee getreten hatten, rannte Clarissa über die Lichtung. Nur weil sich der Spieler anscheinend daran erfreute, den Whittlers das Leben so schwer wie möglich zu machen, und ihren Verfolger so lange wie möglich hinhielt, schaffte sie es, sich unbemerkt vom Zug zu entfernen. Im Schutz der Wagen hastete sie durch den knöcheltiefen Schnee. Der eiskalte Wind trieb ihr den aufgewirbelten Schnee ins Gesicht und drang in ihre Augen. Sie kümmerte sich nicht darum, weil sie nur zu gut wusste, was sie erwartete, falls Frank Whittler sie festnehmen ließ und nach Vancouver mitnahm.
    Im Schutz der Wagen schaffte sie es beinahe zum Waldrand. Die Bäume waren bereits dicht vor ihr, als plötzlich Stimmen hinter ihr laut wurden und Frank Whittler aufgeregt rief: »Da drüben ist sie! Am Waldrand! Hinterher!«
    Anstatt sofort weiterzulaufen, drehte Clarissa sich um und blickte entsetzt auf ihre Verfolger. Auch in dem trüben Halbdunkel, das sich über der schneebedeckten Lichtung ausbreitete, erkannte sie Frank Whittler und glaubte sogar, seine entschlossene Miene zu erkennen. Hinter ihm liefen zwei weitere Männer, wahrscheinlich der Schaffner und der Lokführer. Als Angestellte der Canadian Pacific blieb ihnen wohl nichts anderes übrig, als ihm zu folgen.
    »Clarissa Howe! Komm zurück!«, rief er. »Sofort!«
    Seine Stimme weckte sie aus ihrer Erstarrung. Ohne darüber nachzudenken, wie gering ihre Chancen waren, lief sie in den Wald hinein und glaubte gegen eine Wand zu stoßen, so dunkel war es zwischen den hoch aufragenden Fichten. Erst nach einer ganzen Weile hatten sich ihre Augen daran gewöhnt, und sie erkannte ihre Umgebung zumindest schemenhaft und nur dank des wenigen Schnees, der durch die Baumkronen gedrungen war und in einer dünnen Schicht über dem Unterholz und dem gefrorenen Waldboden lag.
    Um keine neuen Spuren zu hinterlassen, blieb sie auf dem Pfad, den die Männer beim Holzsuchen hinterlassen hatten. In dem jungfräulichen Neuschnee, der sich auch zwischen den Bäumen ausbreitete, hätte sie jeder frische Fußabdruck sofort verraten. Dennoch kam sie nur langsam voran. Alle paar Schritte peitschten ihr Zweige ins Gesicht und überschütteten sie mit frischem Schnee. Der Boden war tückisch glatt. Sie

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