Christopher Ross, Clarissa – Im Herzen die Wildnis
Bürgermeister sagen. Thomas Whittler fügte hinzu: »Möge der Zug, den die beiden besteigen, in eine glorreiche Zukunft fahren.« Womit er wohl auch die Verbindung der beiden Eisenbahnlinien, Canadian Pacific und Southern Ontario, meinte.
Nachdem sie dem Champagner zugesprochen hatten, blieben die Damen in einem Nebenzimmer des Salons, und die Herren zogen sich in die Bibliothek zurück, eine Angewohnheit, die Clarissa seltsam fand. Die Damen unterhielten sich über die neueste Mode und tauschten den aktuellen Klatsch aus, die Herren hüllten sich in Zigarrenrauch und erörterten bei Whiskey, Brandy oder Sherry die Geschäfte. Als sie den Servierwagen mit dem Kaffee in die Bibliothek schob, erkannte sie selbst in dem dichten Qualm, wie Frank ihr zuzwinkerte und sein Glas hob, als wollte er ihr zuprosten. Er vertrug anscheinend weniger als die anderen Gentlemen und schwankte leicht.
Ein Blick auf die Wanduhr im Salon zeigte Clarissa, dass es bereits auf ein Uhr zuging, als sich die Gäste verabschiedeten und sie die letzten Gläser abräumte. Louise Whittler gestattete ihr, auf ihr Zimmer zu gehen, bestand aber darauf, dass sie am nächsten Morgen, ihrem freien Tag, zum Dienst antrat und gründlich das Haus putzte. Ein halber freier Tag würde wohl auch mal genügen, und Gott würde sicher Verständnis dafür haben, wenn sie die Kirche ausfallen ließ. Dafür dürfte sie am Montag etwas später anfangen.
Erschöpft stieg sie die Treppe hinauf. Sie war seit sieben Uhr früh auf den Beinen und so müde, dass ihr nicht einmal Franks lüsterner Blick auffiel, als sie an der offenen Tür der Bibliothek vorbeiging. Er hatte sein Glas behalten, für einen »letzten Whiskey«, wie er sich ausgedrückt hatte, und stand allein zwischen den Bücherregalen. Seine Verlobte war bereits zu Bett gegangen.
In ihrem Zimmer vergaß Clarissa vor lauter Müdigkeit, den Riegel vorzuschieben, ein Fehler, den sie zumindest die nächsten Tage bereuen würde. Sie zog ihre Kleider aus, schlüpfte in ihr warmes Flanellnachthemd und kroch unter ihre Decken. Schon wenige Minuten später war sie fest eingeschlafen.
Es konnte keine halbe Stunde vergangen sein, als sie durch ein verdächtiges Knarren geweckt wurde. Sie fuhr hoch und rieb sich erschrocken die Augen. Eine dunkle Gestalt stand im Zimmer. In dem trüben Licht, das durchs Fenster hereinfiel, erkannte sie Frank Whittler, aber dafür hätte ihr auch schon der Whiskey- und Zigarrendunst, der ihn umfing, genügt. Sie erstarrte vor Angst. Eine unsichtbare Fessel legte sich um ihren Hals und zog sich so fest zusammen, dass sie kaum noch Luft bekam. Ängstlich starrte sie ihm entgegen.
»Hier bin ich«, sagte er grinsend. Er stand nur ein paar Schritte von ihr entfernt, beschwipst oder leicht angetrunken, aber nicht so stark, dass er nicht mehr Herr seiner Sinne gewesen wäre. Seine Jacke und seine Schuhe hatte er zurückgelassen. Über seinem gestärkten Hemd, das zur Hälfte aufgeknöpft und feucht vom verschütteten Whiskey war, spannten sich die Hosenträger. »Ich wusste doch, dass du die Tür für mich offen lassen würdest.«
Clarissa rang nach Luft und fand mühsam ihre Sprache wieder. »Gehen Sie! Gehen Sie bitte!«, presste sie hervor. In ihre Augen schossen Tränen. »Gehen Sie zu Ihrer Verlobten! Ich will nicht, dass Sie … Gehen Sie bitte!«
Ihre Verzweiflung schien ihn nicht zu beeindrucken. »Empfängt man so den Mann, nach dem man sich die ganze Zeit gesehnt hat?« Seine Stimme klang unnatürlich. »Glaubst du etwa, ich hätte nicht gesehen, wie du mich den ganzen Abend angestarrt hast? Gib’s zu, du hast doch nur darauf gewartet, dass ich zu dir komme. Du willst es genauso wie ich, stimmt’s, Schätzchen?«
»Gehen Sie bitte!«, flehte sie ihn an. »Sie sind … sind betrunken!«
»Wir sind verabredet, Schätzchen! Hast du das etwa vergessen? Wir wollten unser Techtelmechtel nachholen.« Er trat bis dicht vor ihr Bett und schob seine Hosenträger über die Schultern. Seine Hose rutschte ein Stück nach unten. Er nestelte an den Knöpfen herum. »Du willst doch jetzt nicht kneifen?«
Ihr trat der Schweiß auf die Stirn. »Lassen Sie mich in Ruhe! Ich …«
»Stell dich nicht so an!« Sein Tonfall änderte sich. »Du bist nicht die Erste, der ich’s besorge, und bisher hat sich noch keine beschwert! Also zieh dein verdammtes Nachthemd aus und mach die Beine breit, oder muss ich es dir erst vom Körper reißen?« Seine Miene hellte sich auf. »He, vielleicht legst
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