Christopher Ross, Clarissa – Im Herzen die Wildnis
Klammern fest. Sie pustete eine Strähne von ihrem linken Auge und strich sie mit angefeuchteten Fingern nach hinten. Ihr Gesicht war noch vom Spaziergang gerötet.
Mit einem Seufzer wandte sie sich vom Spiegel ab und folgte der Köchin nach unten. Die Tür zum Salon stand offen und gab den Blick auf Frank Whittler und seinen Vater frei, einen stattlichen Mann mit schlohweißem Vollbart. »Lass mir noch ein wenig Zeit«, sagte Frank, »ich muss mich erst einmal an diese Stadt gewöhnen und möchte mit Catherine noch ein paar Wochen Urlaub genießen, bevor ich zu arbeiten anfange. Die Jahre in Toronto waren sehr hart.« Er blickte sich zu seiner Verlobten um, die von der Treppe nicht zu sehen war. »Nicht wahr, Schatz? Das haben wir uns verdient.«
»Meinetwegen«, antwortete Thomas Whittler, »aber zu viel Zeit sollten wir nicht verstreichen lassen. Wir haben eine neue Nebenstrecke in Planung, und jemand muss sich um die Grundstücke am Fraser River kümmern.« Er kaute auf einer kalten Zigarre. »Und ihr beide meint es wirklich ernst? Dann sollten wir für nächsten Samstag einen Empfang planen, auf dem wir eure Verlobung offiziell bekannt geben. Ihr müsst unbedingt den Bürgermeister kennenlernen.« Er blickte die Lady an. »Ihr Vater ist Manager der Southern Ontario?«
Clarissa hatte den Flur erreicht und sah Louise aus einem der anderen Zimmer kommen. »Da sind Sie ja endlich, Clarissa!«, begrüßte die Frau des Managers sie ungeduldig. »Unser Sohn und seine Verlobte sind überraschend aus Toronto zurückgekommen. Bringen Sie uns Champagner, den guten französischen, und vier Gläser und decken Sie den Tisch fürs Mittagessen, ja?«
»Sehr wohl, Madame«, antwortete sie.
2
Sie schloss für einen Moment die Augen und holte tief Luft, bevor sie eine Flasche französischen Champagner und vier Gläser auf einem Servierwagen in den Salon schob. Auch ohne Frank Whittler anzublicken, glaubte sie zu spüren, wie er sie neugierig musterte und mit einem frechen Grinsen bedachte, als er sie erkannte. »Der Champagner, die Herrschaften«, verkündete sie.
Thomas Whittler nahm ihr die Flasche ab. »Danke, Clarissa, ich mach das schon. Sagen Sie der Köchin, dass wir in einer Stunde zu speisen wünschen.«
»Sehr wohl, Sir.« Sie verbeugte sich höflich.
»Habe ich dich vorhin nicht am Strand gesehen?«, fragte Frank.
War es ihr bisher noch gelungen, seinen Blicken auszuweichen, blieb ihr bei seinen Worten gar nichts anderes mehr übrig, als den Kopf zu heben und ihm in die Augen zu sehen. Er gehörte zu den wenigen Menschen, die nur mit dem Mund lächelten, und seine Augen wirkten eher kalt und berechnend, wie bei einer Raubkatze, die eines ihrer möglichen Opfer betrachtet. Seine Gesichtszüge waren kantig und auf gewisse Weise attraktiv, zumindest für junge Frauen wie seine Verlobte, denen es nicht gelang, hinter seine Fassade zu blicken. Clarissa wurde schon zu lange von Männern umgarnt, um sich von ihm täuschen zu lassen. Gentlemen seiner Sorte kannten keine echten Gefühle.
Gegen ihren Willen errötete sie. »Gut möglich, Sir. Ich war an der English Bay und im Stanley Park spazieren. Dort bin ich gern an meinem freien Tag.«
»Ist es denn nicht gefährlich für eine junge und hübsche Frau wie dich, sich dort aufzuhalten? Ich habe gehört, der Stanley Park ist immer noch Wildnis, und man könnte sich dort leicht verirren. Es soll sogar Indianer geben.«
»Ich habe keine Angst vor Indianern, Sir.«
»Und vor aufdringlichen Männern?« Es bereitete ihm anscheinend Spaß, sie auf diese Weise in die Enge zu treiben. »Hier treiben sich doch sicher eine ganze Reihe von rauen Burschen herum, die sich nicht zu benehmen wissen.«
»Nicht nur raue Burschen, Sir«, konterte sie. »Oft sind es die unscheinbaren Männer, die einem den größten Ärger bereiten. Ich komme zurecht, Sir.«
»Danke, Clarissa«, brach Thomas Whittler die Unterhaltung ab.
Clarissa deutete einen Knicks an und verließ den Raum. Erleichtert kehrte sie in die Küche zurück. Sie goss sich ein Glas von der Limonade ein, die Betsy auf dem Küchentisch stehen hatte, und nahm einen großen Schluck.
»Sag ich doch, er ist ein Ekel!«, bemerkte die Köchin. Sie stand vor dem neuen Gasherd und rührte in dem Muscheleintopf, den es zum Lunch geben würde. »Genau der Typ, vor dem ich mich in Acht nehmen würde, wenn ich so jung wie du und zwanzig Pfund leichter wäre. Sieh dich vor, Clarissa!«
»Keine Angst! Den lasse ich keine zwei
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