Christopher Ross, Clarissa – Im Herzen die Wildnis
Schritte an mich ran.«
»Sieh dich trotzdem vor.« Betsy sah vom Kochtopf auf. Die Lachfältchen um ihren Mund waren verschwunden. »Bei der letzten Familie, für die ich gekocht habe, gab es auch einen wie Frank, der machte sich in der Hochzeitsnacht an ein junges Dienstmädchen ran. Und weißt du, was passiert ist?«
»Sie wurde gefeuert?«
»Schlimmer. Sie jagten die Arme mit Schimpf und Schande davon und drohten ihr sogar mit der Polizei. Angeblich hatte sie dem Sohn im Flur aufgelauert und versucht, ihn in ihre Kammer zu locken. Den Lohn, der ihr noch zugestanden hätte, behielten sie zurück. Ich weiß, ich hätte mich für die Kleine einsetzen sollen, aber das hätte ihr auch nichts genützt. Und mich hätten sie genauso gefeuert und behauptet, wir würden unter einer Decke stecken.«
»Ich schiebe jeden Abend den Riegel vor, Betsy.«
»Das will ich doch hoffen.« Ihr Mund verzog sich zu einem entschlossenen Lächeln. »Und wenn doch etwas passiert, schreist du laut um Hilfe, dann komm ich mit der Bratpfanne hoch und zeige dem Mistkerl, wie er sich zu benehmen hat!«
Clarissa lachte. »Mach ich, Betsy.«
Doch ganz so leicht, wie es den Anschein hatte, nahm sie die Gefahr nicht. So sehr sie sich auch einredete, Frank Whittler wäre lediglich ein Angeber, der einer einfachen Frau wie ihr imponieren wollte, musste sie im Lauf der Woche erkennen, dass er doch mehr im Schilde führte. Bei jeder Gelegenheit, wenn sie das Essen oder den Tee servierte oder er ihr beim Saubermachen oder auf der Treppe begegnete, musste sie sich sein unverschämten Grinsen gefallen lassen, und einmal im Flur spürte sie sogar seine Hand an ihrer Hüfte. Als sie erschrocken herumfuhr und ihn vorwurfsvoll anblickte, lachte er.
Wie ernst die Lage wirklich war, erkannte sie jedoch erst einen Tag vor dem Empfang, der zu Ehren seiner Rückkehr und seiner Verlobung stattfinden sollte. Sie war gerade dabei, die Fenster im ersten Stock zu putzen, als er unbemerkt hinter ihr auftauchte und seine Arme um ihren Körper legte. »Nun?«, hörte sie ihn sagen. »Darauf wartest du doch die ganze Zeit, oder?«
Sie erstarrte mitten in der Bewegung, den Putzlappen in einer Hand.
»Ich weiß, dass du darauf wartest, Schätzchen. Oder glaubst du, ich hätte deine feurigen Blicke nicht bemerkt? Die ganze Woche machst du mir schon schöne Augen.« Seine rechte Hand wanderte an ihrem Bein hinab. »Weißt du eigentlich, wie hübsch du bist? Wäre doch schade, wenn eine Frau wie du verblühen würde, ohne jemals von einem richtigen Mann geliebt zu werden.«
Sie versuchte vergeblich, sich aus seiner Umklammerung zu befreien. »Lassen Sie mich los!«, fauchte sie ihn an. »Sie sollen mich loslassen, haben Sie nicht gehört? Wenn Sie nicht sofort aufhören, schreie ich laut um Hilfe!«
»Mein Vater ist im Büro, und Catherine und meine Mutter sind in der Stadt beim Einkaufen. Deine Hilferufe würden dir also nicht viel nützen.« Er kicherte verhalten. »Und wenn du denkst, die fette Betsy könnte dir helfen, muss ich dich leider enttäuschen. Ich habe die Tür verriegelt.« Sie spürte seinen heißen Atem im Nacken. »Nur zur Sicherheit, damit uns niemand stört.«
Sie wehrte sich verzweifelt. »Sie gemeiner Kerl! Wenn Sie nicht sofort …«
Das Klappern der Haustür und die Stimme seiner Mutter retteten sie, bevor er handgreiflich werden konnte. »Frank! Bist du zu Hause, Frank? Du musst dir unbedingt das Kleid ansehen, das ich Catherine für morgen Abend gekauft habe! Sie wird wie eine Prinzessin aussehen. Wo steckst du denn, Frank?«
Frank blickte sie scharf an. »Kein Wort!«, warnte er sie flüsternd. »Wenn du auch nur einen Ton sagst, verbreite ich überall, dass ich dich beim Stehlen erwischt habe. Dann werfen dich meine Eltern raus, und du bekommst keinen Fuß mehr auf die Erde. Hast du mich verstanden?« Er ließ sie los und ging zur Tür. Als er leise den Riegel aufschob, hatte er schon wieder Oberwasser. Er grinste unverschämt. »Unser kleines Techtelmechtel holen wir ein anderes Mal nach.«
Clarissa behielt den Zwischenfall für sich. Nicht einmal Betsy gestand sie, dass Frank sich an sie herangemacht hatte. Je weniger die Köchin wusste, desto besser war es für sie. Nach der Erfahrung mit dem jungen Dienstmädchen würde sie bestimmt nicht mehr stillhalten und nur ihre Stellung verlieren. Sobald Frank und Catherine verlobt waren und ein eigenes Haus gefunden hatten, würden sie nur noch alle paar Wochen bei seinen Eltern
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