Christopher Ross, Clarissa – Im Herzen die Wildnis
der Investor ordentlich was springen lässt.« Er betrachtete seine Zigarre. »Und dem Umsatz der Witwe Barnes würde es sicher auch nicht schaden.«
»Und wer ist dieser geheimnisvolle Investor?«
»Nun, das ist sicher nicht schwer zu erraten, obwohl wir hier mitten in der Wildnis leben und es weit und breit keine Eisenbahn gibt, aber wie wir alle wissen, gehört der Canadian Pacific nicht nur die Eisenbahn. Sie besitzen auch Hotels und Dampfschiffe und hätten in Beaver Creek die Möglichkeit, groß ins Immobiliengeschäft einzusteigen.« Er paffte wieder. »Normalerweise belästige ich eine junge Dame nicht mit so trockenen Themen, aber ich würde mich wirklich freuen, wenn noch mehr anständige Bürger in unsere Stadt kommen würden. Vor allem junge Menschen. Der Postreiter müsste morgen oder übermorgen wieder bei uns auftauchen. Geben Sie ihm einige Briefe mit, es wird bestimmt nicht zu Ihrem Schaden sein.« Er zwinkerte ihr beinahe verschwörerisch zu. »Ich wäre sogar bereit, Ihnen einen Bonus zu bezahlen.«
Clarissa hörte bei den letzten Worten gar nicht mehr hin. »Die Canadian Pacific?«, fragte sie. »Sie haben die Canadian Pacific gebeten, in Beaver Creek zu investieren? Und … und hat die Eisenbahn schon geantwortet?«
»Sie haben versprochen, mein Angebot zu prüfen. Thomas Whittler höchstpersönlich hat mir geschrieben und versprochen, einen seiner Angestellten nach Beaver Creek zu schicken, vielleicht sogar seinen Sohn, der wohl die Grundstücksgeschäfte der Canadian Pacific übernehmen soll.« Sein Lächeln verstärkte sich. »Aber dieser geschäftliche Kram interessiert Sie doch nicht wirklich, oder? Wichtig ist, dass wir diese Stadt am Leben erhalten.«
»Frank Whittler?«, entfuhr es ihr. »Er will Frank Whittler schicken?«
Cook blickte sie neugierig an. »Sie kennen Mister Whittler?«
»Nun …« Sie war froh, dass es schneite und der Unternehmer nicht merkte, wie blass sie geworden war. Nur mit Mühe gelang es ihr, die plötzliche Übelkeit zu unterdrücken und ein gequältes Lächeln in ihre Augen zu zaubern. »… Ich dachte nur, ich hätte seinen Namen irgendwo gelesen. Sicher in der Klatschspalte. Ich liebe Klatschspalten! Hat er nicht kürzlich geheiratet?«
»Keine Ahnung. Ich lese nur die Wirtschaftsseiten.«
»Ist ja auch egal.« Sie hatte sich wieder einigermaßen gefangen, und ihr Lächeln fiel etwas herzlicher aus. »Wenn Sie mich jetzt entschuldigen wollen … Die Witwe Barnes wartet sicher schon auf mich. Wir haben viel Arbeit.«
»Das wundert mich nicht, Miss Holland. Grüßen Sie die Witwe von mir.«
»Das will ich gerne tun.«
Clarissa ging rasch weiter, den treibenden Schnee im Gesicht und den Blick auf die vereisten Planken vor ihren Füßen gerichtet, und spürte plötzlich auch die Kälte, die der auffrischende Wind über die Straße trieb. Die Hammerschläge des Schmieds, der unablässig an seinem Amboss arbeitete, dröhnten in ihren Ohren. Ein Hund, der sie auf dem Hinweg noch frech angebellt hatte, ging ihr rasch aus dem Weg und verzog sich winselnd hinter ein Haus.
Frank Whittler … Ausgerechnet er musste nach Beaver Creek reisen. Wahrscheinlich erst im Frühjahr, wenn der Fraser River wieder schiffbar war, vielleicht aber auch früher, wenn sein Vater ihn beschäftigen wollte oder er bestrebt war, ein zukunftsträchtiges Geschäft abzuschließen, um seinem Vater oder seiner Ehefrau oder beiden zu imponieren. Er konnte jeden Tag nach Beaver Creek kommen, heute, morgen, übermorgen, und was dann passieren würde, konnte sie sich leicht ausrechnen. Sie war nicht mehr sicher in Beaver Creek. Ausgerechnet in dem verlassenen Nest, das vor wenigen Minuten noch wie ein ideales Versteck ausgesehen hatte, war sie am meisten gefährdet.
Immer noch unter Schock betrat sie das Haus der Witwe. Sie entledigte sich ihrer Jacke und der Mütze, stopfte die Handschuhe und den Schal in die Taschen und ließ sich auf einen Küchenstuhl fallen. Sie blickte zu Boden.
»Was ist denn mit Ihnen los?«, wunderte sich die Witwe. »Hat Ihnen Alex einen Heiratsantrag oder so was Ähnliches gemacht? Sie sind ja ganz blass!«
»Frank Whittler«, stieß sie leise hervor.
»Der Angeber, der Sie einsperren will? Was ist mit ihm?«
Clarissa erzählte ihr, was sie von Ben Cook erfahren hatte.
»Ach, das ist doch nur dummes Gerede«, beruhigte sie die Witwe Barnes, »so was erzählt er doch jedem, der nach Beaver Creek kommt. Die Holzfirma reicht ihm nicht, obwohl er
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