Christopher Ross, Clarissa – Im Herzen die Wildnis
Strumpfband nach dem anderen schenkte, bis ich … Nun ja, ich bin damals wohl etwas zu weit gegangen, und noch in derselben Nacht tauchte eine andere Frau auf, ein junges Ding, das er auf die gleiche Weise geködert hatte. Ich sah zufällig, wie er die Kleine in sein Hotelzimmer schleppte, rannte ihm nach und trieb ihn mit einem Reisigbesen durch das halbe Hotel. Sie hätten mal sehen sollen, wie schnell sich die beiden aus dem Staub gemacht haben.«
»Da wäre ich gern dabei gewesen.« Clarissa konnte schon wieder lachen.
»So ist das Leben nun mal«, fuhr die Witwe fort. »Einen Tag bist du oben und am anderen wieder unten. Wäre ja auch langweilig, wenn alles so liefe, wie wir uns das vorstellen. Stellen Sie sich vor, Alex hätte sich wie ein braver Junge benommen und sich von diesem Colby ferngehalten, keinen Alkohol angerührt, wäre mit Ihnen im Mondschein spazieren gegangen, und Sie hätten morgen geheiratet und wären bis an Ihr Lebensende glücklich zusammen … Das wäre doch furchtbar langweilig. So einfach ist es nun mal nicht.«
»Ich hätte aber nichts dagegen.«
»Sie können die Männer nicht ändern, Schätzchen. Manchmal sind sie ein Segen, gerade so wilde Burschen wie Alex, aber sie können einem auch ganz schön auf die Nerven gehen. So war es wahrscheinlich schon vor ein paar Millionen Jahren, als die Menschen noch in Höhlen lebten. Die Männer benehmen sich wie die Wilden, und wir fallen immer wieder auf sie herein. So ist der Lauf der Welt. Und deshalb könnte Alex heute Abend noch ein Mädchen küssen, und Sie würden ihn noch immer lieben, stimmt’s?«
»Vielleicht.«
»Na ja, im Gefängnis ist er erstmal sicher.«
Clarissa kam sich tatsächlich wie ein dummes Schulmädchen vor, weil sie dem Fallensteller alles durchgehen ließ, und wagte es kaum zu sagen: »C. W. meint, ich soll Alex was zu essen bringen. Das Essen, das er servieren würde, bekäme nicht mal sein Hund zu fressen. Meinen Sie, ich sollte … Ich sollte …«
»Ich packe ihm was zusammen«, erwiderte die Witwe Barnes zu ihrer Erleichterung. »C. W. ist nicht verheiratet und panscht sich immer selbst was zusammen. Ich wette, er schlachtet ein paar Mäuse für seine Gefangenen.«
Clarissa verzog den Mund. »Das ist doch nicht Ihr Ernst!«
»Natürlich nicht, aber der Fraß soll zumindest so schmecken. Richten Sie noch mal Ihre Haare, bevor Sie gehen, damit er weiß, was er verliert, wenn er sich weiterhin so benimmt. Und dann lesen Sie ihm ordentlich die Leviten!«
»Schon wieder?«
»Männer wie ihn kann man nicht oft genug zurechtweisen. Könnte doch sein, dass er im Frühjahr wiederkommt und mit Ihnen zusammen über die Grenze geht, und Sie leben dann tatsächlich bis an Ihr Lebensende glücklich zusammen. Nicht alle Frauen enden so jämmerlich und einsam wie ich hier.«
»Sie haben viele Freunde.«
»Aber keinen einzigen Geliebten.«
Gegen Mittag reichte ihr die Witwe einen Korb mit Hühnerpastete, Biskuits und einer Kanne mit frischem Kaffee, dazu gab es zwei Stücke von ihrem Apfelkuchen. »Verdient hat er die leckeren Sachen nicht, sag ihm das, und wenn ich ihn noch einmal mit dieser Ruby sehe, kann er nächstes Mal bei seinen Hunden vor dem Haus schlafen. Die hab ich übrigens auch gefüttert. Kommt dieses Mal alles auf seine Rechnung.«
Clarissa ahnte, dass es bei dieser Drohung bleiben und sie ihm gar nichts berechnen würde, dafür war die Witwe Barnes viel zu nett und nachsichtig, aber sie ging nicht darauf ein und bedankte sich für den Korb. »Ich werde es ihm ausrichten, Witwe Barnes. Inzwischen wird er wohl wieder nüchtern sein.«
Mit zügigen Schritten ging sie zum Gefängnis. Sie hatte das Gefühl, von unzähligen Augen beobachtet zu werden, und glaubte sogar das spöttische Lächeln der Menschen hinter den Fenstern zu erkennen. Da geht sie, hörte sie die Stimmen einiger Bewohner. Gestern lässt sie sich von diesem Rüpel zum Narren halten, und heute läuft sie ihm nach!
Sie ließ sich nicht beirren und zwang sich zu einem Lächeln, als sie an der Schmiede vorbeikam und der stämmige Mann in seiner Arbeit innehielt und ihr einen verwunderten Blick zuwarf. Hinter einem Fenster seines Blockhauses sah sie den Pfarrer, eine qualmende Pfeife in der Hand, und grüßte freundlich zurück, als er ihr aufmunternd zunickte. Auf der Straße war niemand, dazu war es viel zu kalt, und der Wind trieb die wirbelnden Flocken quer über die Straße. Dichte Nebelschwaden hingen über den bewaldeten
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