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Chronik der dunklen Wälder - Schamanenfluch: Band 4 (German Edition)

Chronik der dunklen Wälder - Schamanenfluch: Band 4 (German Edition)

Titel: Chronik der dunklen Wälder - Schamanenfluch: Band 4 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Paver
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bluten.
    Er folgte dem Gewässer stromaufwärts und rannte, wie um sich selbst zu bestrafen, so schnell, dass ihm keine Zeit zum Nachdenken blieb. Schließlich musste er entkräftet anhalten und sank am Rande einer Lichtung erschöpft an einem Silberbaum zusammen. Bald würde der Morgen anbrechen. In der Ferne hörte er Hunde kläffen.
    Er hielt den Kiesel, den er aus Renns Medizinbeutel genommen hatte, immer noch fest in der Hand und starrte nun auf die gepunkteten Linien, von denen er bisher geglaubt hatte, sie seien seine Clantätowierung. Mit einem Mal waren sie nur noch bedeutungslose kleine Flecken.
    Das ist der alte Torak, dachte er.
    Plötzlich begriff er, dass er im vergangenen halben Mond das Dasein eines Ausgestoßenen lediglich gespielt und jeden Vorwand genutzt hatte, um in der Nähe der Raben zu bleiben, genau wie der junge Elch, der wie ein verlorenes Lamm nach seiner Mutter geblökt hatte. Wenn das Tier nicht lernte, sich auf eigene Faust durchzuschlagen, würde es früher oder später mit dem Leben dafür bezahlen. Torak wollte nicht denselben Fehler begehen.
    Seine Faust umschloss den Kiesel noch fester. Lass alles zurück. Befreie dich von deiner Vergangenheit.
    Er drückte den Kiesel in eine Spalte im Stamm des Silberbaums und rannte weiter.

    Tautropfen glitzerten im Farn und überzogen die Blätter des Silberbaums mit frostigem Glitzern. Toraks Kiesel schmiegte sich in die glatten braunen Arme.
    Ein Rehbock trat auf die Lichtung und begann zu äsen. Ein Rotkehlchen schmetterte sein Lied. Eine Amsel erwachte. Die aufgehenden Sonnenstrahlen trockneten den Tau.
    Plötzlich hob der Rehbock mit einem Ruck den Kopf und floh. Rotkehlchen und Amsel flatterten unter schrillen Alarmrufen davon.
    Ein Schatten senkte sich über die Zweige der Silberweide.
    Der Wald hielt den Atem an.
    Eine grüne Hand schob sich vor und nahm den Kiesel aus seinem Versteck im Baum.

Kapitel 11

    »Er steckt hier irgendwo«, sagte Aki. »Das spüre ich.«
    »Also ich spüre überhaupt nichts«, keuchte das Weidenmädchen und stemmte sich mit aller Kraft gegen den Strom, um mit dem Jungen mithalten zu können. »Vielleicht ist er sowieso in Richtung Süden geflohen und nicht nach Osten. Von dort ist er schließlich gekommen.«
    »Deswegen sind die anderen ja nach Süden, um ihm den Weg abzuschneiden«, knurrte Aki.
    »Wir sind schon viel zu weit flussaufwärts gefahren«, wandte Raut ein, dem es mulmig zumute war. »Lass uns lieber umkehren.«
    »Nein«, sagte Aki barsch.
    »Wir könnten wenigstens eine Pause einlegen«, wandte ein anderer Junge ein. »Wenn ich noch länger paddele, fallen mir dir Arme ab!«
    »Meine auch«, ächzte das Mädchen. »Weiter unten habe ich eine ruhige Bucht gesehen. Fahren wir dorthin.«
    Torak, der geduckt im Weidengestrüpp verharrte, atmete erleichtert auf. Als er sicher war, dass die anderen tatsächlich umkehrten, ließ er sich ins Wasser gleiten und stapfte ans Ufer.
    Wolf wartete. Er sah interessiert zu, wie Torak sich Gras in die Stiefel stopfte, damit seine Füße warm blieben. Dann gingen sie weiter flussaufwärts.
    Schon den ganzen Tag waren ihnen Jäger dicht auf den Fersen: östlich der Zwillingsflüsse und den Lauf des Axtknaufes hinauf.
    Sobald Torak versucht hatte, sich in südlicher Richtung davonzustehlen, hatte ihn der zweite Jägertrupp unweigerlich zurück nach Osten getrieben, und nur dadurch, dass sie sich die ganze Zeit im Ufergestrüpp verbargen, war es ihnen bisher gelungen, die Verfolger von ihrer Fährte abzulenken.
    Torak war bis auf die Knochen durchnässt und fror. Nach einer schlaflosen Nacht unterliefen ihm allmählich Fehler. Vor einer Weile wäre er beinahe über einen Eber gestolpert, der sich im Schlamm suhlte. Wie hatte ihm die Fährte des Tieres bloß entgehen können? Ein Kind von fünf Sommern hätte sie bemerkt.
    Akis wegen hatte er den Plan, sich nach Süden durchzuschlagen, aufgegeben. Seine einzige Hoffnung bestand nunmehr darin, den Axtknauffluss zu überqueren und auf die beiden Täler zuzuhalten, die in nördlicher Richtung vom Fluss abzweigten. Diese Gegend war unwirtlich und Wild rar, daher mieden die meisten Menschen, von gelegentlichen einsamen Wanderern abgesehen, das Tal. Das gab den Ausschlag.
    Der Fluss schwoll brausend und wütend an, in der Ferne vernahm Torak bereits das Brüllen der Wasserfälle. Als der Vormittag halb vorüber war, blieb Wolf plötzlich stehen und spitzte die Ohren. Dann hörte Torak es ebenfalls: Ruder, die das Wasser

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