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Chronik der dunklen Wälder - Schamanenfluch: Band 4 (German Edition)

Chronik der dunklen Wälder - Schamanenfluch: Band 4 (German Edition)

Titel: Chronik der dunklen Wälder - Schamanenfluch: Band 4 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Paver
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der Stirn zu kurzen Fransen geschnitten; eine Kette aus Eberhauern baumelte ihnen um den Hals und sie trugen steife Lederumhänge. Die Weiden trugen Wämser, die mit Weidenbaststickereien verziert waren, und die Clantätowierung zwischen den Augenbrauen – drei schmale schwarze Ovale – erweckte den Eindruck, als runzelten die Träger unablässig die Stirn. Alle sechs waren älter als Torak. Den Jungen wuchs der erste Bartflaum und ein kurzer roter Streifen unter der Tätowierung der Mädchen ließ erkennen, dass die erste Mondblutung bereits hinter ihnen lag.
    Sie waren mit Steinebrechen beschäftigt gewesen: Ihre Häute aus Rehleder waren mit grauem Steinstaub überzogen. Nun bemerkte Torak auch die Leiter aus Ästen, die sie gegen den Felsen gelehnt hatten, um weiter nach oben zu gelangen. Inzwischen hatten sie das Interesse am Hämmern allerdings vollkommen verloren.
    Torak hielt ihrem Blick entschlossen stand, da er nicht ängstlich wirken wollte. »Was wollt ihr?«
    Aki, der Sohn des Eberclanhüters, deutete mit dem Kopf auf das Geweih. »Das gehört mir. Leg’s hin.«
    »Nein, das gehört dir nicht«, entgegnete Torak. »Ich habe es gefunden.« Um die anderen daran zu erinnern, dass er keineswegs unbewaffnet war, schulterte er den Bogen und fuhr mit der Hand über das blaue Schiefermesser an seiner Hüfte.
    Aki wirkte nicht sonderlich beeindruckt. »Das Geweih gehört mir.«
    »Also hast du es gestohlen «, sagte ein Weidenmädchen.
    »Wenn es wirklich deines wäre«, sagte Torak zu Aki, »hättest du dein Zeichen aufgemalt und ich hätte es überhaupt nicht angerührt.«
    »Hab ich doch. Ganz unten am Geweih. Du hast es bloß abgewischt.«
    »Natürlich nicht«, erwiderte Torak verächtlich.
    Erst dann bemerkte er, was er schon viel früher hätte bemerken sollen: einen Flecken Erdblut unten am Geweih, auf dem ein Eberhauer eingeritzt war. Mit einem Mal wurden seine Ohren flammend heiß. »Ich habe es nicht gesehen. Und abgewischt habe ich es auch nicht.«
    »Dann lege es auf den Boden und verschwinde«, sagte ein Junge namens Raut, der Torak gerechter vorkam als die anderen, insbesondere als Aki, der offensichtlich auf einen Kampf aus war und es kaum erwarten konnte.
    Doch diesen Gefallen wollte ihm Torak nicht tun. »Gut«, sagte er knapp. »Ich habe einen Fehler gemacht. Ich habe das Zeichen übersehen. Das Gehörn gehört euch.«
    »Wieso glaubst du eigentlich, dass wir dich so einfach davonkommen lassen?«, fragte Aki.
    Torak seufzte. Er geriet nicht zum ersten Mal mit Aki aneinander. Der Sohn des Eberhüters war ein richtiger Raufbold : Einerseits war sich der Junge nicht sicher, ob er zum Anführer taugte, andererseits wollte er es allen unbedingt mit den Fäusten beweisen.
    »Du hältst dich wohl für was Besonderes«, höhnte Aki. »Weil Fin-Kedinn dich aufgenommen hat und weil du mit den Wölfen sprechen kannst und ein Seelenwanderer bist.« Er fuhr sich prüfend mit den Fingernägeln über den Bartflaum, als müsste er sich vergewissern, dass die spärlichen Haarbüschel nicht plötzlich verschwunden waren. »In Wahrheit lebst du nur deswegen bei den Raben, weil dein eigener Clan dich meidet. Und Fin-Kedinn traut dir nicht mal so weit über den Weg, dass er dich als Ziehsohn aufnimmt.«
    Torak knirschte mit den Zähnen.
    Er blickte sich verstohlen um. Der Fluss war zum Schwimmen zu kalt, außerdem lagen die Einbäume der anderen am Ufer bereit. Stromaufwärts zu laufen war daher ebenso sinnlos wie stromabwärts, denn an der Gabelung zwischen dem Grünen Fluss und dem Axtknauffluss würden ihn die Weiden mit Sicherheit stellen. Auf Hilfe konnte er ebenfalls nicht rechnen. Renn befand sich im Rabenlager am Nordufer, einen halben Tagesmarsch in Richtung Osten entfernt, und Wolf war in der Nacht zur Jagd aufgebrochen.
    Torak legte das Gehörn auf den Boden. »Ich habe gesagt, du kannst es haben«, wiederholte er an Aki gewandt und schlug dann den Pfad in den Wald ein.
    »Feigling!«, höhnte Aki.
    Ohne auf ihn zu achten, schritt Torak weiter aus.
    Ein Stein traf seine Schläfe. Wütend drehte er sich zu seinen Angreifern um. »Wer ist hier der Feigling? Sechs gegen einen ist nicht gerade ein Zeichen von Tapferkeit!«
    Akis Gesicht lief unter den Stirnfransen vor Wut dunkelrot an. »Dann kämpfen wir eben Mann gegen Mann: Nur du und ich.« Er riss sich das Wams herunter und entblößte den fleischigen, rot behaarten Brustkorb.
    Torak erstarrte.
    »Was ist los?«, johlte ein Ebermädchen.

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