Chronik der dunklen Wälder - Schamanenfluch: Band 4 (German Edition)
das einen betörenden Wacholdergeruch verströmte. Ein Schamane warf eine Handvoll Knochen in die Flammen und beobachtete, wie sie hineinfielen, während der zweite aufmerksam den Rauch las, der kräuselnd aufstieg. Saeunn wiegte sich vor und zurück und stieß kurze Zaubersprüche aus.
Über Toraks Kopf knackte plötzlich ein Zweig und ein Rabe spähte mit großen, unbarmherzigen Augen auf ihn hinunter. Er bat ihn inständig, ihn nicht zu verraten.
Das Totemtier breitete die Flügel aus und flog dicht über dem Feuer der Schamanen einen Bogen. Saeunn hob den Kopf und folgte dem Flug des Raben mit den Augen. Dann drehte sie sich um und blickte Torak an.
Sie kann dich nicht sehen, rief er sich in Erinnerung, doch die Augen der Schamanin, die vom Widerschein des Feuers rot glänzten, schimmerten unergründlich. Wer konnte ahnen, was sie sah?
Gerade als Torak es nicht mehr länger ertragen konnte, widmete sie sich wieder ihren Zaubersprüchen.
Zitternd vor Erleichterung, musterte er die vom Feuer beleuchteten Gesichter. Der Anführer der Eber deutete nachdrücklich mit dem Finger auf den Anführer des Walclans, um seine Ansicht zu unterstreichen. Aki, der in der Nähe saß, betrachtete seinen Vater mit einer sonderbaren Mischung aus Furcht und Verlangen.
Dann entdeckte Torak endlich, wonach er suchte.
Renn saß mit untergeschlagenen Beinen dicht am Feuer und blickte düster in die Glut. Sie war bleich und trug einen Verband aus weichem Rehleder am rechten Unterarm, wirkte aber ansonsten unverletzt.
Mit einem Mal wurde Torak so leicht ums Herz, als sei ein enger Ledergurt um seine Brust gelöst worden.
Sie ist wohlauf.
Ein Hund trottete heran, glücklicherweise einer, den er kannte. Er scheuchte ihn leise davon.
Vielleicht hatte er beim nächsten Mal nicht so viel Glück. Er musste unbedingt verschwinden, ehe sie ihn entdeckten.
Trotzdem rührte er sich nicht vom Fleck.
Vielleicht lag es daran, dass er Renn gesehen hatte, vielleicht aber auch an der wilden Hoffnung, er könne nun, da er die Zeichen der Seelenesser aus seiner Brust geschnitten hatte, einfach in den Schein des Feuers treten, und alle würden ihn willkommen heißen.
Er blieb.
Und das veränderte alles.
Langsam zog der Mond seine Bahn am Himmel. Torak kauerte immer noch im Gebüsch. Er konnte sich einfach nicht losreißen.
Er beobachtete, wie Männer, Frauen und Kinder die Becher in Eimer mit vergorenem Birkenblut tauchten und vollschöpften. Er beobachtete, wie einer nach dem anderen ans Langfeuer trat und mit einem Lied oder einer Geschichte zur allgemeinen Unterhaltung beitrug.
Ein Weidenmann sang das Lied des wandernden Lachses, untermalt von Musik aus Rehhufrasseln und Entenknochenflöten.
Eine Ebereschenfrau zauberte den Umriss eines Schattenbären, indem sie die Hand geschickt hinter einer vom Feuer beleuchteten Tierhaut bewegte.
So folgte einer auf den anderen, die ganze Sommernacht hindurch. Gebannt lauschte Torak den Geschichten: jenen uralten Mythen, die die Sippen einander seit dem Ursprung in Nächten wie dieser erzählten.
Erst nach geraumer Zeit bemerkte er, dass alle Farbe aus Renns Gesicht gewichen war.
Zwei maskierte Gestalten umtanzten nun das Feuer: eine Stechmücke mit langem spitzem Holzrüssel und ein jähzorniger Elch. Die Mücke – hinter der Maske verbarg sich eine Natternfrau – schwirrte unruhig hin und her, jammerte und bohrte ein ums andere Mal den spitzen Rüssel in die Luft, unter hellauf begeistertem Johlen der Kleinen und Großen. Renn hingegen hatte nur Augen für den Elch. Mit aufeinandergepressten Lippen beobachtete sie, wie er im Schatten das mächtige Geweih schüttelte. Sie durchlebte den Angriff noch einmal.
Zufällig geriet der Elch nun auf die gegenüberliegende Seite des Langfeuers und plötzlich ging die Stechmücke zum Angriff auf Renn über. Zerstreut wehrte sie sie mit einer Handbewegung ab, aber die Schnake ließ sich nicht abschütteln und umsurrte Renn genauso dreist, wie es die lästigen Plagegeister auch sonst zu tun pflegen.
Lass sie in Ruhe, bat Torak inständig.
Gerade als die Stechmücke wieder auf Renn losgehen wollte, erhob sich ein junger Mann, packte die Mücke geschickt beim Schnabel und tat so, als würde er sie mit der anderen Hand zerquetschen. Er gab sich dabei so arglos und gut gelaunt, dass die Natternfrau wohl oder übel mitspielen musste. Sie zog sich unter beleidigtem Summen zurück und brachte alle zum Lachen.
Renn warf dem jungen Mann einen dankbaren Blick
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