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Chronik der dunklen Wälder - Seelenesser: Band 3 (German Edition)

Chronik der dunklen Wälder - Seelenesser: Band 3 (German Edition)

Titel: Chronik der dunklen Wälder - Seelenesser: Band 3 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Paver
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hatte. Wenn du mir etwas tust, beiße ich , hatte ihm Wolf stumm mitgeteilt. Aber Groß Schwanzlos’ Blick war fest und ohne Falsch gewesen, und Wolf war eingefallen, wie er als Welpe einmal beinahe an einem Entenknochen erstickt wäre und Groß Schwanzlos ihm auf den Bauch gedrückt hatte. Wolf hatte ihn beißen wollen, aber Groß Schwanzlos hatte nicht von ihm abgelassen und der Entenknochen war Wolf in hohem Bogen aus dem Maul geflogen. Als er sich daran erinnert hatte, begriff er endlich, dass ihm Groß Schwanzlos nur helfen wollte.
    Darum hatte Wolf es auch zugelassen, dass ihm das Weibchen mit der großen Steinklaue ein Stück Schwanz abhackte. Darum hatte er seinem Rudelgefährten nicht die Vorderpfote abgebissen. Weil ihm die beiden halfen.
    Jetzt war es vorbei und das Weibchen lehnte schwer atmend an der Wand des Baus. Groß Schwanzlos barg den Kopf in den Vorderpfoten und zitterte am ganzen Leib.
    Wolf beschnüffelte das Schwanzende auf dem Felsboden, das Schwanzende, das einst zu ihm gehört hatte, jetzt aber nur noch ein Stück verdorbenes Fleisch war, das man noch nicht mal fressen mochte. Als er Groß Schwanzlos mit der Nase unters Kinn stupste, um sich zu entschuldigen, dass er ihn angeknurrt hatte, schluckte Groß Schwanzlos ganz sonderbar und grub die flache Schnauze in Wolfs Nackenfell.
    Danach wurde alles besser. Das Weibchen gab Wolf noch mehr Preiselbeeren und leckeren glitschigen Fischhundspeck und neue Kraft fuhr in seine Glieder. Groß Schwanzlos hockte sich neben ihn und schubberte ihm die Flanke und das Weibchen tunkte Wolfs abgebissenen Schwanz in einen nach Honig und feuchtem Farnkraut duftenden Schlamm. Wolf ließ sie gewähren, denn er wusste, dass sie es gut mit ihm meinte und dass es zu seinem Besten war.
    Er legte die Schnauze auf die Pfoten, schloss die Augen und überließ sich den Liebkosungen seines Rudelgefährten und dem herrlich kühlen Lehm, der den letzten Anflug des Schlimmen verscheuchte.

    Wolf erholte sich so schnell, dass Renn staunte. Schon wirkte sein Fell wieder glatter, seine Nase sah nicht mehr so stumpf und heiß aus. Die Wunde an seinem Schwanz, der nun eine Daumenlänge kürzer war, roch sauber und gesund. Zu Renns Verwunderung hatte Wolf es geduldet, dass sie die Wunde mit einer Salbe aus Holunder, Spierstrauch und zerkautem Robbenspeck bestrich. Er hatte sich noch nicht einmal gewehrt, als sie ihm einen Verband aus Rindenbast anlegte, hatte bloß kurz daran geknabbert und dann das Interesse verloren. Es war Torak, der nicht hinsehen und den Anblick der Wunde nicht ertragen konnte, fast so, als litte er größere Schmerzen als Wolf selbst.
    »Es geht ihm schon viel besser!«, sagte Renn aufmunternd. »Ich glaube, Wölfe werden schneller wieder gesund als wir. Weißt du noch, wie er sich letzten Herbst im Mond der Röhrenden Hirsche beim Brombeerensuchen das Ohr eingerissen hat? Schon nach drei Tagen war nicht mal mehr Schorf zu sehen.«
    »Ach ja, richtig.« Torak lächelte gezwungen. »Und deine Salbe beschleunigt die Heilung sicher auch.«
    »Er wird zusehends kräftiger.« Renn schnürte ihren Medizinbeutel zu. »Wir sollten allmählich…«
    Eine Fledermaus huschte über ihre Köpfe. Sie hielten inne und horchten.
    Nichts.
    Dreimal an diesem Tag – diesem sonderbaren, unterirdischen Tag, der eher wie eine nicht enden wollende Nacht anmutete – war Torak in den Steinwald gegangen und hatte eine frisch getränkte Fackel geholt. Dabei hatte er auch nach den Seelenessern gesehen, die nach wie vor ihren tranceartigen Rausch ausschliefen, aber der konnte nicht mehr lange anhalten.
    »Wir müssen Wolf aus der Grube holen«, sagte Renn. »Wir können aus unseren Gürteln eine Schlinge knüpfen und ihn hochziehen. Wenn er uns lässt.«
    »Wird er schon. Du hast vorhin gesagt, dass Thiazzi den Eingang versperrt hat?«
    »Ja. Aber vielleicht können wir die Steinplatte aufschieben.«
    »Uns wird wohl nichts anderes übrig bleiben. Anders kommen wir hier nicht raus.«
    »Doch.« Widerstrebend erzählte Renn ihrem Freund von dem Wieselloch.
    Sonst hätte Torak sie mit Fragen gelöchert, zum Beispiel mit der Frage, weshalb sie ihm nicht längst davon erzählt hatte, aber er schien mit den Gedanken woanders zu sein. Ob ihn dieselben Befürchtungen plagten wie sie?
    Renn sah zu, wie er die Nase in Wolfs Nackenfell wühlte. Wolf zuckte mit dem Ohr und die beiden wechselten einen der vielsagenden Blicke, bei denen sie sich anfangs ausgeschlossen gefühlt hatte.

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