Chronik der dunklen Wälder - Seelenesser: Band 3 (German Edition)
Hüterfelsen Zuflucht suchen. Dort kann ich Bannsprüche wirken und Schutzkreise um das Lager ziehen.«
Als Fin-Kedinn nicht darauf einging, fuhr die Alte fort: »Hör schon auf, dir unnötig den Kopf zu zerbrechen.«
Der Rabenanführer wandte sich ihr widerstrebend zu. »Und worüber zerbreche ich mir den Kopf?«, erwiderte er in so ruhigem Ton, dass jedes andere Sippenmitglied vor Schreck erbleicht wäre.
Nicht so Saeunn. »Du darfst uns nicht in den Hohen Norden führen.«
»Dich würde ich ganz gewiss nicht führen, Schamanin. Ich würde schon dafür sorgen, dass du hier bleibst, im Wald …«
»Es geht mir nicht um mich, sondern um die Sippe, das weißt du sehr wohl!«
»Mir genauso.«
»Aber …«
»Schluss jetzt!« Mit einer schroffen Gebärde beendete Fin-Kedinn die Unterredung. »Sollte ich dir irgendwann vorschreiben, wie du deine Schamanenkunst ausüben sollst, darfst du mir gern vorschreiben, wie ich die Sippe zu führen habe.«
Wieder hob er den Kopf, aber diesmal wandte er sich nicht an Saeunn, sondern an das Geschöpf, das aus der Fichte zu ihm herunterschaute, die Adlereule mit den gefiederten Ohren und dem durchdringenden orangefarbenen Blick. Der große Vogel hockte dort oben und beobachtete sie. Lauschte.
»Ich führe den Clan nicht aus dem Wald heraus«, sagte Fin-Kedinn, ohne den Blick abzuwenden. »Das schwöre ich bei meinen Seelen.«
Die Adlereule breitete die gewaltigen Schwingen aus und flog nordwärts.
Kapitel 32
ANFANGS WAREN TORAK und Renn einfach nur heilfroh, dass sie dem Berg entronnen waren. Es war herrlich, wieder im Freien zu sein, umgeben von Wasser und glitzerndem Eis, unter strahlend blauem Himmel, es war herrlich, ab und zu von Osten her Wolfs Gekläff zu hören, der ihnen versicherte: Bin noch da! Bin noch da! –, und eine Antwort zu heulen.
»Die kriegen uns nie im Leben!«, jubelte Renn.
Sie schilderte Torak, wie sie die Boote der Seelenesser zerschlitzt hatte, und er lachte. Wolf war wieder frei und sie waren zum heimatlichen Wald unterwegs. Seelenesser und Dämonen schienen weit, weit weg zu sein.
Doch dann schlug das Wetter unversehens um. Steingraue Wolken zogen herauf, Nebel kam übers Meer gekrochen. Torak bekam vor Müdigkeit Kopfschmerzen und konnte kaum noch das Paddel heben.
»Wir müssen eine Rast einlegen«, sagte Renn. »Sonst kentern wir noch oder fahren gegen einen Eisberg.«
Torak nickte. Er war sogar zum Sprechen zu erschöpft.
Mit letzter Kraft zogen sie das Boot an Land und in den Schutz eines Eishangs, bockten es mithilfe von Schwemmstecken auf und häuften Schnee darauf, um es als behelfsmäßige Hütte zu benutzen.
Dabei fiel Torak wieder ein, wie ihn die Natternschamanin gefährlich ruhig gefragt hatte: »Was bist du?« Sie hatte in der Höhle mit den Opfertieren gespürt, wie seine Seelen wieder zu ihm zurückgekehrt waren. Vielleicht hatte sie ja erraten, dass er ein Seelenwanderer war.
Von fern hörte man das dumpfe »U-huu, U-huu« einer Adlereule.
Renn hielt inne, die behandschuhten Hände voller Schnee. Ihre Miene war angespannt. »Sie sind hinter uns her.«
»Ich weiß.«
»U-huu, u-huu.«
Torak ließ den Blick über den Himmel schweifen, sah aber nichts als Nebel.
Renn war schon in der Hütte verschwunden, er stand allein da. Alle Geräusche kamen ihm unnatürlich laut vor: das Ächzen des Windes, das ferne Tosen berstenden Eises. Der Kopf tat ihm weh, seine Augen brannten. Sogar die Hütte und der Hang waren sonderbar verschwommen.
Aus dem Augenwinkel nahm er eine Bewegung wahr.
Er fuhr herum.
Etwas Kleines, Dunkles huschte von Eisbuckel zu Eisbuckel.
Torak schluckte. Ein Dämon?
Wenn doch nur Wolf bei ihnen wäre! Aber der hatte seit dem späten Nachmittag nichts mehr von sich hören lassen.
Torak zückte Fas Messer und ging nachschauen.
Hinter dem Eisbuckel war nichts. Aber er hatte doch etwas gesehen!
Er steckte das Messer weg und kroch zu Renn in die Hütte. Sie lag schon in ihrem Schlafsack, und Torak behielt für sich, was er gesehen hatte.
Sie waren beide zu müde, um Robbenspeck für die Lampe zu zerstoßen, brachten gerade noch ein paar Happen Fleisch herunter. Renn war im Nu eingeschlafen, Torak lag noch eine Weile grübelnd wach.
Dort draußen lauerten die Dämonen. Er spürte, wie sie sich seiner Seelen bemächtigen wollten, ihm Mut und Zuversicht raubten.
Und alles ist deine Schuld, dachte er. Du hast nichts dagegen unternommen, und jetzt sind sie frei. Es war alles umsonst.
Als er
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