Chronik der dunklen Wälder - Seelenesser: Band 3 (German Edition)
ihrer Brust lastete der Feueropal. Renn schulterte ihren treuen Bogen und stiefelte los.
Es fing an zu schneien. Weiße Flocken sprenkelten das schwarze Eis, eine schaurige Verkehrung dessen, wie es eigentlich sein sollte. Das Eis war zerklüftet. Renn musste sich über steile Hänge und bodenlose Spalten vorankämpfen. Ein falscher Schritt, und der Eisfluss würde sie ein für allemal verschlingen. Aber sie musste weiter, ihr Ziel war der schwarze Abgrund am Fuß der Klippen. Dort wollte sie den Feueropal hervorholen und die Dämonen beschwören. Dort wollte sie die ganze Schar mit hinunter in den Abgrund nehmen.
Ein markerschütterndes Ächzen. Weiter südlich stürzte ein Teil der Klippen ein. Eine Wolke aus körnigem Eis schlug Renn entgegen. Nichts konnte dem Eisfluss standhalten. Nicht einmal ein Dämon.
Sie klopfte sich die Jacke ab und hastete weiter.
Als sie am Fuß der Klippen ankam, war es schon Mittag. Sie stand im Schneetreiben auf einer Anhöhe und spähte in den klaffenden Schnitt im Leib des Eisflusses.
Dort unten, dachte sie. Dort unten liegt der Stein bald begraben, bis ans Ende aller Tage.
Torak war die Nacht durchmarschiert und im Schein der Binsenlichter Wolfs Fährte gefolgt. Nef und Thiazzi hatten die Boote geschultert und stapften hinterdrein, Seshru ging vorneweg, in einer Hand ihr Binsenlicht, in der anderen Hand den an Toraks Handfesseln geknoteten Rindenstrick. Ab und zu ahnte Torak Eostras unheilvolle Gegenwart, auch wenn er die Schamanin selbst nie sah, aber wenn er aufblickte, erkannte er schemenhaft eine Adlereule, die am Sternenhimmel ihre Kreise zog.
Ihm taten immer noch die Rippen weh, seine Füße waren schwer wie Felsbrocken. Trotzdem gönnte er sich keine Pause. Das war alles unwichtig, wenn er nur Renn fand. Er biss die Zähne zusammen und drehte die Handgelenke hin und her, damit ihm der Lederriemen in die Haut schnitt. Er wollte eine Blutspur hinterlassen. Das gehörte zu seinem Plan.
Der Tag brach an. Vor ihnen lag im fahlen Licht eine weite, wellige, unheimliche Landschaft. Torak spürte, dass sie verfolgt wurden. Entweder war Wolf zurückgekehrt oder sein Plan gelang tatsächlich – aber noch war es viel zu früh!
Seshru ruckte unsanft am Strick.
Torak tat so, als sei er gestolpert und drückte die blutenden Handgelenke in den Schnee.
»Steh auf!«, fauchte Seshru und ruckte so fest, dass Torak ein Schrei entfuhr.
»Der jault ja wie der Wolf, als ich ihm auf den Schwanz getreten bin«, sagte Thiazzi verächtlich. »Das Vieh hat gewinselt wie ein Welpe.«
Dafür sollst du büßen, dachte Torak, als er sich wieder aufrappelte. Wie, weiß ich noch nicht, aber büßen sollst du dafür.
Gegen Mittag fing es an zu schneien. Durch das weiße Treiben erspähte Torak eine lang gestreckte, niedrige Anhöhe. Dahinter hörte man den Eisfluss tosen, weiter südlich vernahm Torak leises, kaum noch hörbares Wolfsgeheul.
Oben auf der Anhöhe machte Seshru Halt. Ihr Gesicht mit dem Blendschutz war ausdruckslos wie eine Maske. Ihre schwarze Zunge schnellte vor und kostete die Luft. Sie lächelte zufrieden. »Die Dämonen kommen.«
Nef setzte ihr Boot ab und humpelte ebenfalls den Hang hinauf. Als sie ihren Blendschutz abnahm, erschrak Torak, wie sehr sie über Nacht gealtert war. »Da ist das Mädchen ja!«, verkündete die Fledermausschamanin. »Da unten bei den Klippen.«
Zwanzig Schritt vor dem Abgrund blieb Renn im Windschatten eines schwärzlichen Eiskamms stehen.
Sie zog die Handschuhe aus und holte den Schwanenfußbeutel aus der Jacke. Ihre Finger zitterten so heftig, dass sie zum Lösen des Riemens mehrere Anläufe brauchte, aber schließlich gelang es ihr doch, und der Feueropal kullerte in ihre Hand. Er sah stumpf und leblos aus, war unbegreiflicherweise noch schwerer als im Beutel und so kalt, dass ihre Handfläche brannte.
Jetzt nimmt das Ganze seinen Lauf, dachte Renn. Ob ich will oder nicht.
Der Schnee fiel dichter, ein roter Funke flackerte auf. Der Funke wurde zur Flamme. Leuchtend. Stetig brennend. Wunderschön …
Renn schloss die Augen und wölbte die Hände um den Stein. Als sie wieder hinsah, glühte er immer noch und färbte ihre Finger rot.
Schnee trieb ihr ins Gesicht. Das schwarze Eis unter ihren Sohlen bebte. Sie hielt den Feueropal hoch über den Kopf.
Der Eisfluss verstummte. Der Wind verebbte. Alles wartete gespannt, was jetzt geschehen mochte.
Erst war es nur ein fernes Rauschen, ein gieriges, hasserfülltes Raunen, das der Wind
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