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Chronik der dunklen Wälder - Seelenwanderer: Band 2 (German Edition)

Chronik der dunklen Wälder - Seelenwanderer: Band 2 (German Edition)

Titel: Chronik der dunklen Wälder - Seelenwanderer: Band 2 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Paver
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man ein Tokoroth?«
    Überraschenderweise verzog die Alte den eingefallenen Mund zu einem anerkennenden Grinsen. »Du gehst den Dingen auf den Grund, das ist gut. Das macht einen Schamanen aus.«
    Renn verkniff sich eine Erwiderung.
    Saeunn ritzte ein Zeichen in den Boden, verdeckte es aber mit der Hand, sodass Renn nichts erkennen konnte. »Die geheime Kunst, Tokoroth zu erschaffen, ist längst in Vergessenheit geraten. Jedenfalls haben wir das immer angenommen. Wie es scheint, hat jemand das alte Wissen wieder entdeckt.« Sie nahm die Hand weg und Renn sah auf der Erde den Dreizack der Seelenesser.
    Damit hatte sie zwar schon halb gerechnet, trotzdem erschrak sie, als sie ihre Ahnung bestätigt sah. »Aber wie stellt man es denn nun an?« Das Breitwasser brauste so laut, dass sie sich kaum verständlich machen konnte.
    Saeunn legte das Kinn auf die Knie und blickte wieder in den Fluss und Renn tat es ihr nach. Sie schauten tief hinab bis auf den dunklen Grund. »Als Erstes raubt man ein Kind. Vielleicht verschwindet es plötzlich, wenn seine Eltern einen Augenblick nicht aufpassen. Natürlich sucht die Sippe danach, nimmt an, es sei in den Wald gelaufen, aber die Suche bleibt vergeblich. Es hat sich wohl verirrt und wurde von einem Luchs oder Bären gefressen. Die Trauer ist groß.«
    Renn nickte. Sie kannte Familien, die auf diese Weise Kinder verloren hatten, so etwas kam öfter vor, und die Eltern taten ihr immer unendlich Leid. Sie selbst hatte auch schon Verwandte verloren. Fünf Monde war ihr Vater verschwunden geblieben, bis man seinen Leichnam gefunden hatte. Sieben Sommer war sie damals alt gewesen. Sie erinnerte sich noch gut an die quälende Ungewissheit.
    »Für so ein Kind wäre es besser, es wäre tatsächlich einem Bären zum Opfer gefallen«, fuhr die Schamanin düster fort. »Alles ist besser, als ein Tokoroth zu werden.«
    »Wieso? Dann ist es doch wenigstens noch am Leben!«
    »Leben nennst du das?« Die Schamanin ballte die knochige Faust. »Mond für Mond im Dunkeln zu hocken? Es nur gerade so warm zu haben, dass man nicht erfriert? In seinem eigenen Dreck zu leben und sich von vergammelten Fledermäusen zu ernähren, die einem jemand hinwirft? Und das Schlimmste – nie einen anderen Menschen zu sehen? Jedenfalls so lange nicht, bis das Kind die Liebkosungen seiner Mutter vergessen hat, ja, bis es seinen eigenen Namen vergessen hat.«
    Renn überlief es eiskalt. Sie glaubte, schon den Hauch des Bösen zu spüren.
    »Dann, wenn es nur noch eine leere Hülle ist, dann erst beschwört sein Herr den Dämon und bannt ihn in den Körper.«
    »Du meinst, in das Kind«, warf Renn leise ein. »Es ist immer noch ein Kind.«
    »Es ist ein Körper, eine leere Hülle«, wiederholte Saeunn barsch. »Seine Seelen sind dem Dämon auf immer hörig.«
    »Aber…«
    »Wieso widersprichst du mir eigentlich dauernd?«
    »Weil es immer noch ein Kind ist! Vielleicht wäre es noch zu retten …«
    »Dummes Ding! Lass dich bloß nie von Mitleid blenden! Erklär mir lieber, was ein Dämon eigentlich ist. Na los! Wird’s bald?«
    Jetzt wurde Renn auch ärgerlich. »Das weiß doch jeder! Warum fragst du?«
    »Widersprich mir nicht, Mädchen, tu, was ich dich geheißen habe!«
    »Ein Dämon entsteht, wenn jemand stirbt und seine Seelen nicht zusammenbleiben, sodass derjenige seine Clanseele verliert«, leierte Renn widerstrebend herunter. »Wenn nur Namensseele und Weltseele zurückbleiben, hat derjenige keinen Clansinn mehr und kann Gut nicht mehr von Böse unterscheiden. Dann ist ihm alles Lebendige verhasst.« Sie stockte, denn ihr fiel wieder ein, wie sie im vergangenen Herbst einem Dämon direkt ins Auge geblickt und darin nur leidenschaftlichen Hass gesehen hatte. »Dann hat er nur noch ein Ziel, nämlich alles Lebendige um sich her zu vernichten«, endete sie mit schwankender Stimme.
    Die Schamanin stieß den Stab auf den Boden und gab wieder ihr krächzendes Lachen von sich. »Ausgezeichnet!« Sie beugte sich vor und Renn sah die geschwollene Ader an ihrer Schläfe pochen. »Damit hast du eben selbst ein Tokoroth beschrieben. Es sieht vielleicht aus wie ein Kind, aber lass dich bloß nicht täuschen! Der Schein trügt. In seinem Körper haust der Dämon. Er hat die Seelen des Kindes so fest im Griff, dass sie sich nie mehr befreien können.«
    Renn schlang fröstelnd die Arme um sich. »Wie kann man einem Kind nur so etwas antun!«
    Saeunn zuckte nur die Achseln, als erübrigte sich eine Antwort.
    »Und wozu

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