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Chronik der dunklen Wälder - Seelenwanderer: Band 2 (German Edition)

Chronik der dunklen Wälder - Seelenwanderer: Band 2 (German Edition)

Titel: Chronik der dunklen Wälder - Seelenwanderer: Band 2 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Paver
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erzürnt.
    Sie hörte Donner grollen und sah durch eine lichte Stelle im Laub eine wolfsgraue Wolkenwand heranziehen. Sie musste bald irgendwo Schutz suchen.
    Das Tal, das sie eben durchquerte, wurde im Osten von schroffen Granitklippen begrenzt, auf denen sie ein paar vielversprechende dunkle Punkte erspähte, Höhlen vielleicht. Sie fiel in Laufschritt und bückte sich unterwegs nach trockenen Ästen für ein Feuer.
    Das Gewitter brach urplötzlich los. Der Weltgeist trommelte auf die Wolken, bis sie platzten, eine Regenflut entließen und gleißende Blitze wie Pfeile auf den Wald hinabschleuderten. Von weitem sah Renn einen Baum in Flammen aufgehen. Wenn sie sich nicht beeilte, war sie womöglich das nächste Ziel.
    Schließlich kam sie an eine Höhle, doch obwohl sie klatschnass war, blieb sie draußen vor dem Eingang stehen. Höhlen können lebensrettend sein, sich aber genauso gut als tödliche Falle entpuppen, deshalb hielt Renn erst einmal nach Fährten von Bären und Schweinen Ausschau und vergewisserte sich, ob das Höhlendach auch hoch genug war, damit nicht durch einen Spalt der Blitz einschlug und ihr in den Kopf fuhr. Erst als sie sich gründlich umgesehen hatte, trat sie ein.
    Sie zitterte vor Kälte und sehnte sich nach einem Feuer, trotzdem kümmerte sie sich als Allererstes um ihren Bogen, zog ihn aus der Lachshauthülle und hängte ihn an eine aus der Höhlenwand ragende Wurzel. Anschließend steckte sie die Pfeile zum Trocknen in die Erde, damit sich das feuchte Holz nicht verzog, dann erst machte sie Feuer.
    Draußen wütete der Sturm. Wo mochte Torak gerade sein? Ob er wohl auch irgendwo Zuflucht gefunden hatte?
    Seine Spur vom Rabenlager bis in diesen Teil des Waldes zu verfolgen, war nicht ganz einfach gewesen, und anfangs war sie auf Vermutungen angewiesen. Sie hatte angenommen, dass Torak alle viel begangenen Pfade meiden würde, was die Möglichkeiten schon einmal eingrenzte. Bären und andere Jäger halten sich gern in Ufernähe auf, wo ihre Beute zum Trinken hinkommt, deswegen findet man die Wildwechsel von Elch und Hirsch eher in höher gelegenem Gelände. Aus den Geschehnissen des vergangenen Herbstes schloss Renn, dass Torak nicht darauf erpicht sein würde, womöglich einem Bären zu begegnen, und folgerte daraus, dass er sich tatsächlich an irgendwelche Wildwechsel hielt.
    Ihre Vermutung hatte sich bestätigt, als sie seine Hütte entdeckt hatte, aber sie war sehr erschrocken, dass die jungen Buchen, aus denen er sich einen Unterschlupf errichtet hatte, von einer umgestürzten Esche zerdrückt worden waren. Wie froh war sie gewesen, keinen Leichnam darunter zu finden und direkt daneben die Überbleibsel einer zweiten Hütte zu entdecken! Dass sie Torak gehört hatte, erkannte sie an den sternförmig um die Feuerstelle angeordneten Steinen, wie sie bei der Rabensippe unüblich waren.
    Am folgenden Morgen hatte sie Toraks Fährte abermals verloren, weil ein Schwein die Fußabdrücke bis zur Unkenntlichkeit zertrampelt hatte.
    Das Feuer fauchte und riss sie aus ihren Gedanken.
    In ihrer verletzten Hand pochte es. Sie rückte näher an die Flammen heran und sah wieder die spitzen braunen Zähne des Tokoroth vor sich, hörte es bösartig fauchen …
    »Ich muss essen«, sagte sie laut, um das Bild zu verscheuchen.
    In ihre Rückentrage hatte sie gedörrtes Elchfleisch, geräucherten Lachs und Lachsfladen gepackt. Letztere waren allerdings nicht mehr ganz frisch, denn in einem Anfall von Rachsucht hatte sie Saeunns persönlichen Vorrat entwendet, einen Stapel Fladen, den die Schamanin in einem Stück getrocknetem Auerochsendarm aufbewahrte.
    Sie nahm einen Fladen heraus, brach für den Clanhüter ein Stückchen ab und verspeiste den Rest. Der Fladen stammte vom letzten Sommer, war aber noch gut. Der Geschmack erinnerte sie nur zu deutlich an ihre Sippe.
    Neben ihr lag der geflochtene Weidenköcher, den sie mit Oslaks Hilfe angefertigt hatte, und an zwei Fingern der linken Hand trug sie einen ledernen Schutz, den ihr Vedna genäht hatte. Rechts hatte sie den Unterarmschutz aus geschliffenem grünem Schiefer angelegt, ein Geschenk von Fin-Kedinn, als er ihr das Bogenschießen beibrachte. Sie nahm den Armschutz kaum je ab, worüber sich ihr Bruder oft lustig gemacht hatte. Ihr Bruder … Er war vergangenen Winter gestorben. An ihn zu denken, war schmerzlich.
    Um sich aufzuheitern, griff sie nach der kleinen Hühnerknochenpfeife, die ihr Torak geschenkt hatte. Zwar kam kein Ton heraus,

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