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Chronik der dunklen Wälder - Seelenwanderer: Band 2 (German Edition)

Chronik der dunklen Wälder - Seelenwanderer: Band 2 (German Edition)

Titel: Chronik der dunklen Wälder - Seelenwanderer: Band 2 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Paver
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zugeworfen hatte, aus dem blanke Bosheit sprach, ihre Hand freigegeben, wie ein wütender Vielfraß gefaucht hatte und schließlich geflohen war.
    Da waren auch schon Thull und Fin-Kedinn mit gezückten Äxten herbeigelaufen gekommen.
    Aus unerfindlichen Gründen hatte es Renn widerstrebt, ihnen zu berichten, was vorgefallen war. Sie hatte die Hand auf dem Rücken gehalten und sich lautstark selbst ausgescholten, um ihre Verwirrung zu überspielen. »Was bin ich doch für ein Dummkopf, nicht erst nachzuschauen! Zum Glück war es bloß ein Wiesel!«
    Thull hatte sich nur zu gern damit zufrieden gegeben und war ins Lager zurückgekehrt. Fin-Kedinn hatte ihr einen prüfenden Blick zugeworfen, dem sie schweigend standgehalten hatte.
    »Was war es denn nun?«, wiederholte sie ungeduldig, als die Schamanin nach zwanzig Schritt in die Schlucht hinein stehen blieb. Renn sah sich um. Ihr war unbehaglich zumute. Sie mochte die Schlucht nicht und betrat sie nur, wenn es sich gar nicht vermeiden ließ.
    Obwohl es heller Mittag war, standen sie im Dunkeln. In der Schlucht war es zu jeder Tageszeit dunkel, die steilen Wände sperrten außer einem kleinen Streifen Himmel alles Licht aus. Das Breitwasser fühlte sich hier genauso unwohl wie Renn und toste zornig über die Felsbrocken, die kreuz und quer in seinem Bett verstreut lagen.
    Renn schauderte es. Hier drinnen konnte sich jederzeit ein Tokoroth von hinten an einen anschleichen, ohne dass man es kommen hörte …
    »Tokoroth«, sagte Saeunn leise, und Renn zuckte zusammen.
    »Was bedeutet das?«
    Saeunn antwortete immer noch nicht. Sie kauerte sich am Ufer auf einen kleinen Flecken trockener roter Erde und zog das Gewand über die knochigen Knie. Sie ging barfuß und man sah ihre krummen braunen Zehennägel.
    Torak hatte Renn einmal anvertraut, dass ihn Saeunn an einen Raben erinnerte. »Und zwar an einen alten, übellaunigen.« Renn verglich die Alte eher mit ausgedörrter, steinharter Erde. Was die Laune betraf, hatte Torak allerdings Recht. Renn kannte die Schamanin schon ihr ganzes Leben und hatte sie noch nicht ein Mal lächeln sehen.
    »Wieso sollte ich dir etwas über die Tokoroth erzählen?«, fragte die Schamanin jetzt mit ihrer heiseren Krächzstimme. »Dafür interessierst du dich auf einmal, aber die Schamanenkunst willst du nicht erlernen!«
    »Weil ich keine Schamanin werden will!«, gab Renn zurück.
    »Aber du könntest es darin zu etwas bringen. Du kannst Dinge vorhersehen, ehe sie geschehen.«
    »Als Jägerin kann ich es genauso gut zu etwas bringen, aber du…«
    »Das viele Jagen lenkt dich nur ab«, fiel ihr Saeunn ins Wort. »Du willst deinem Schicksal entfliehen. Deiner Bestimmung zur Schamanin.«
    Um nicht aufzubrausen, musste Renn tief durchatmen. Sich mit Saeunn zu streiten, war ungefähr so Erfolg versprechend wie der Versuch, mit einer Feder einen Feuerstein zu spalten. Dass an dem, was die Alte sagte, etwas Wahres war, machte die Sache auch nicht besser.
    Sie beschloss, sich zu beherrschen, bis sie erfahren hatte, was sie wissen wollte. »Bitte erzähl mir etwas über die Tokoroth.«

    »Ein Tokoroth«, begann Saeunn, »ist ein Kind, das mutterseelenallein in Dunkelheit aufwächst und anschließend einem Dämon als Heimstatt dient.«
    Bei ihren Worten schien es noch finsterer zu werden und ein feiner Nieselregen sprenkelte den roten Erdboden.
    »Ein Tokoroth«, fuhr die Alte fort, »kennt weder Gut noch Böse, weder Recht noch Unrecht. Es kennt kein Mitgefühl, denn man hat es gelehrt, alles und jeden zu hassen. Es gehorcht niemandem außer dem, der es erschaffen hat.« Die Schamanin blickte in den reißenden schwarzen Fluss. »Es gehört zu den gefürchtetsten Bewohnern des Waldes. Ich hätte nicht geglaubt, dass ich zu meinen Lebzeiten noch von einem erfahren muss.«
    Renn betrachtete ihre verletzte Hand. Unter Saeunns Umschlag aus Huflattich und Spinnweben pochte die Wunde schmerzhaft. »›Erschaffen‹ hast du gesagt. Wie meinst du das?«
    Saeunns klauengleiche Hand schloss sich fest um ihren Stab. »Damit meine ich, dass sich jemand des Kindes bemächtigt hat. Jemand hat den Dämon gefangen und in den fremden Körper gebannt.«
    Renn schüttelte den Kopf. »Seltsam, dass ich noch nie davon gehört habe.«
    »Nur wenige wissen noch, dass es so etwas überhaupt gibt, und noch weniger sprechen darüber. Außerdem«, ihr Ton wurde schärfer, »willst du ja von Schamanenkunst nichts wissen. Oder etwa doch?«
    Renn wurde rot. »Und wie erschafft

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