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Chronik der dunklen Wälder - Seelenwanderer: Band 2 (German Edition)

Chronik der dunklen Wälder - Seelenwanderer: Band 2 (German Edition)

Titel: Chronik der dunklen Wälder - Seelenwanderer: Band 2 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Paver
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»Du musst sofort gehen«, befahl sie schwer atmend. »Wenn du auch nur einen Fuß in den Wahren Wald setzt, schwöre ich bei allen Bäumen, die mich geboren haben, dass du den nächsten Schritt nicht mehr erlebst.«
    Ihre Blicke begegneten sich, und Torak sah, dass sie Angst hatte. »Du kennst ihn, nicht wahr? Den Schleicher. Du weißt, wer er ist.«
    Die Frau ging nicht darauf ein. Abermals machte sie ihren Leuten ein Zeichen und der ganze Trupp verschwand zwischen den Bäumen.
    »Nein!« Torak lief hinterher. »Sagt mir, wer er ist! Wenigstens das!«
    Ein Zweig peitschte ihm ins Gesicht.
    Ehe sie endgültig vom Unterholz verschluckt wurde, drehte sich die Anführerin noch einmal um. »Tokoroth… « , raunte sie.
    »Was bedeutet das?«
    »Tokoroth…«
    Das grüne Gesicht verschmolz mit dem Laub.
    Sie war längst auf und davon, als der Name immer noch wie eine Verwünschung nachzuhallen schien.
    Tokoroth…

Kapitel 12

    »EIN TOKOROTH?«, wiederholte Renn und rieb sich die verbundene Hand, »was soll das denn sein?«
    »Nicht hier!«, sagte Saeunn barsch.
    Die Alte stand unvermittelt auf und stapfte quer durchs Lager. Obwohl sie krumm war wie ein alter, sturmgebeugter Baum, bewegte sie sich erstaunlich flink und verscheuchte mit ihrem Stab jeden, der ihr im Weg stand. Sie marschierte vorbei an Räucherplatz und Hüterfelsen zur Schlucht. Dabei sah sie sich kein einziges Mal um, sondern nahm selbstverständlich an, dass Renn ihr folgte.
    Renn ließ sich ihren Missmut nicht anmerken und ging eilig hinterher. Unterwegs erntete sie die gleichen argwöhnischen Blicke wie die Schamanin. Den anderen Sippenmitgliedern galt sie inzwischen vor allem als Gehilfin der Alten, was ihr überhaupt nicht behagte.
    Vor drei Tagen hatte die Krankheit die ersten Sippenmitglieder heimgesucht, mittlerweile waren vier weitere Raben erkrankt. Damit die Kranken sich und anderen keinen Schaden zufügten, hatte Fin-Kedinn zu drastischen Maßnahmen gegriffen und sie in eine Höhle am anderen Flussufer verbannt, wo sie Tag und Nacht bewacht wurden.
    Furcht lag in der Luft, das spürte Renn deutlich und sie las es auch in den Blicken der anderen. Bin ich der Nächste? Oder du?
    Sie hatte panische Angst, dass die Bisswunde an ihrer Hand bedeutete, dass sie selbst die Nächste sein könnte. Sie hätte gern mit jemandem darüber gesprochen, sich überzeugen lassen, dass sie sich irrte, aber Saeunn hatte ihr verboten, den Vorfall zu erwähnen.
    Früher hätte sich Renn um so ein Verbot nicht groß geschert. Sie hatte sich Saeunn schon immer widersetzt und sah keinen Anlass, das zu ändern, aber alle, denen sie sich sonst anvertraut hatte, waren nicht mehr da. Oslak war tot, Vedna war zum Weidenclan, ihrer Stammsippe, zurückgekehrt und Torak war verschwunden.
    Torak. Zwei Tage war es jetzt her, dass er sich klammheimlich aus dem Staub gemacht hatte. Allein der Gedanke an ihn machte sie stinkwütend. Er war nicht mehr ihr Freund. Ein Freund geht nicht einfach weg, ohne sich zu verabschieden, und lässt einem stattdessen einen blöden angemalten Kiesel da.
    Um ihren Ärger loszuwerden, war sie jeden Tag auf die Jagd gegangen, und da sie eine gute Jägerin war, hatte Fin-Kedinn nichts dagegen einzuwenden gehabt. Dabei hatte sie sich auch die Bisswunde eingefangen. Auch das war gewissermaßen Toraks Schuld.
    Es war heute Morgen passiert. Sie war vor Tau und Tag aufgestanden und durch den nebligen Wald zu den Haselnussbüschen im Südosten des Tals gewandert, wo sie am Vortag ein paar Fallen gelegt hatte.
    Erst hatte sich im Gebüsch nichts geregt, aber dann raschelte es darin.
    Da hatte Renn einen der wichtigsten Jagdgrundsätze außer Acht gelassen, die Fin-Kedinn sie gelehrt hatte, und ohne zuvor nachzuschauen, die Hand hineingesteckt.
    Es hatte furchtbar wehgetan. Sie hatte so laut aufgeschrien, dass die Bäume erbebten und ringsum die Ringeltauben aufstoben.
    Wimmernd hatte sie die Hand mit einem Ruck zurückgezogen, aber das, was sie gebissen hatte, ließ sich nicht abschütteln. Was es war, konnte sie nicht erkennen, dazu war das Laub zu dicht, deshalb hatte sie mit der anderen Hand das Messer gezogen und blindlings zugestochen – und war zu Tode erschrocken. Es war weder Natter noch Wiesel, sondern ein Kind ! Sie erhaschte eben noch einen Blick auf funkelnde Augen unter einem verfilzten Haarschopf und spitze braune Zähne, die sich tief in ihren Handballen gruben.
    Sie hatte drohend das Messer gehoben, worauf ihr das Geschöpf einen Blick

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