Chronik der dunklen Wälder - Seelenwanderer: Band 2 (German Edition)
können.
Auf allen vieren krabbelte sie auf ihn zu. »Ich bin’s«, versicherte sie, streckte die Hand aus und kraulte ihn unterm Kinn.
Er sprang auf, sauste zum Höhleneingang und lief dort winselnd im Kreis. Schon wieder hatte sie etwas verkehrt gemacht.
Bestürzt hockte sie sich ans Feuer. »Warum bist du gekommen, Wolf?«, fragte sie laut, obwohl sie genau wusste, dass er sie nicht verstand. »Suchst du etwa auch nach Torak?«
Wolf leckte sich die letzten Lachsbröckchen von den Lefzen, trabte an ihr vorbei bis zur hinteren Höhlenwand und legte sich dort mit der Schnauze zwischen den Vorderpfoten nieder.
Draußen kehrte der Weltgeist mit leise nachhallendem Donner nach Norden auf seinen Berg zurück. In der Höhle hörte man den Regen rauschen und es roch streng nach nassem Wolfspelz.
Renn hätte Wolf so gern verständlich gemacht, wie froh sie war, ihn wiederzusehen, und ihn gefragt, ob er vielleicht wusste, wo Torak war. Aber wie? Wenn Torak mit Wolf sprach, hatte sie meistens weggehört, weil es sie irgendwie störte. Sie hatte dann immer das Gefühl gehabt, ihren Freund eigentlich gar nicht richtig zu kennen. Jetzt zermarterte sie sich das Hirn in dem Versuch, sich daran zu erinnern.
Wölfe verständigen sich nicht vorwiegend mit der Stimme wie unsereins, hatte ihr Torak einmal erklärt. Sie drücken sich eher mit Pfoten und Schwanz aus, mit Ohren und Fell und mit… na ja, eben mit dem ganzen Körper.
Aber du selber hast doch gar keinen Schwanz und kein Fell, hatte Renn eingewandt, und die Ohren kannst du auch nicht bewegen. Wie machst du dich ihm dann verständlich?
Ich lasse eben manches aus. Es ist ein bisschen mühsam, aber es klappt einigermaßen.
Wenn schon Torak Mühe hatte, sich Wolf verständlich zu machen, wie sollte sie es dann erst anstellen? Wie sollte Wolf ihr helfen, Torak zu finden, wenn sie nicht miteinander sprechen konnten?
Wolf wurde einfach nicht daraus schlau, was Weibchen Schwanzlos eigentlich von ihm wollte.
Ihr Fiepen verriet ihm, dass sie nichts Böses im Schilde führte, aber alles andere war völlig wirr: Erst drohte sie ihm, dann entschuldigte sie sich wieder und ein andermal … war sie einfach nur unsicher.
Anfangs schien sie erfreut, ihn zu sehen, obwohl er auch ein Gutteil Misstrauen spürte. Dann aber hatte sie ihn unverschämt angestarrt und sich sogar auf die Hinterbeine gestellt. Anschließend hatte sie versucht, sich dafür zu entschuldigen, und hatte ihm Preiselbeeren und den flachen, augenlosen Fisch zu fressen gegeben, der nach Wacholder schmeckte. Hinterher hatte sie sich schon wieder entschuldigt, indem sie ihn unterm Kinn gekrault hatte! Schließlich war Wolf so verwirrt, dass er ein Weilchen im Kreis laufen musste.
Inzwischen war das Dunkel vorüber und sie war immer noch nicht aufgewacht. Ihm war langweilig, darum warf er sich auf sie und forderte sie zum Spielen auf.
Sie schubste ihn herunter und sagte irgendwas in Schwanzlossprache, das klang wie: »Wäck, wäck!« Das hatte Groß Schwanzlos auch immer gemacht. Offenbar war das die Art der Schwanzlosen zu knurren.
Er ließ sie in Ruhe und machte sich stattdessen an die Erkundung des Baus und schließlich daran, ein Loch zu buddeln. Er freute sich daran, was er für kräftige Pfoten hatte und wie die Erdbrocken aufspritzten.
Er hörte eine Maus in ihr Loch huschen. Er machte einen Satz, packte sie, warf sie in die Luft und biss sie entzwei. Zum Nachtisch verspeiste er noch zwei Käfer und einen Wurm, dann ging er draußen nachsehen, was das Weibchen machte.
Das Heiße Helle Auge leuchtete am Oben, und er roch, dass der Donnerer fort war. Ungeheuer erleichtert tollte er durchs Farnkraut und ließ sich den Pelz nass spritzen. Er hörte, wie eine eben flügge gewordene Elster in ihrem Nest umherhüpfte und wie sich im angrenzenden Tal ein Waldpferd den Bauch an einer umgestürzten Fichte schubberte. Er witterte, dass Weibchen Schwanzlos zum Fluss hinuntergelaufen war, und als er ihr folgte, sah er sie mit der Langen Klaue-die-fliegt in den Vorderpfoten dastehen und die Enten belauern.
Enten erschrecken gehörte zu Wolfs Lieblingsspielen. Dabei hatte er auch Schwimmen gelernt, als er nämlich einmal in ein mit Blättern bedecktes Nass gesprungen war, das er für flach gehalten hatte, und plötzlich untergegangen war. Jetzt hätte er sich am liebsten unverzüglich hineingestürzt und die Enten tüchtig aufgescheucht, bis sie ins Oben flatterten. Nur so zum Spaß, nicht weil er Hunger
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