Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Chronik der dunklen Wälder - Seelenwanderer: Band 2 (German Edition)

Chronik der dunklen Wälder - Seelenwanderer: Band 2 (German Edition)

Titel: Chronik der dunklen Wälder - Seelenwanderer: Band 2 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Paver
Vom Netzwerk:
»Meinst du das ernst?«
    Er drehte sich um und sie las unerschütterliche Gewissheit in seinem bernsteinfarbenen Blick.
    »Nach Westen«, wiederholte sie.
    Wolf galoppierte voran und Renn fiel in Laufschritt.

Kapitel 15

    DIE LUFT HATTE einen Beigeschmack von Salz. Torak blieb stehen.
    Der Salzgeruch weckte Erinnerungen. Vor fünf Sommern war er zum ersten und letzten Mal in seinem Leben am Meer gewesen und dieses eine Mal hatte ihm wahrhaftig gereicht.
    Über ihm rauschten die Kiefern. Im Norden sah er durch die Bäume das Breitwasser in seinem felsigen Bett ungeduldig dem Meer entgegeneilen. Torak hatte es weniger eilig, aber die Anführerin der Waldpferde hatte behauptet, was er suche, sei am Meer zu finden. War er zu leichtgläubig gewesen? Ihm war schmerzhaft bewusst, dass er seinem Ziel, ein Mittel gegen die Krankheit zu finden, seit dem Verlassen des Rabenlagers kein Stück näher gekommen war. Erst war er nach Osten gewandert, dann in die entgegengesetzte Richtung nach Westen. Es kam ihm vor, als ob jemand mit ihm seinen Schabernack trieb, ihn wie ein Knöchelchen oder einen Spielstein umherschubste.
    Zwei Tage war es jetzt her, dass er am Saum des Großen Waldes umgekehrt war. Zwei Tage und Nächte war er ununterbrochen auf der Hut vor seinem Verfolger gewesen. Doch obwohl er spürte, dass ihn dieser noch immer belauerte, hatte er sich seither weder gezeigt noch ihm eine weitere tödliche Falle zu stellen versucht.
    Trotzdem hatte sich Toraks Stimmung seit der vergangenen Nacht verschlechtert, was allerdings ausnahmsweise nicht an dem Unbekannten lag.
    Torak hatte am Feuer gesessen, mit dem Schlaf gekämpft und dem Sturm gelauscht, der in den Hügeln im Osten grollend abflaute. Zwei Mal hatte ihm der Wind Fetzen gehässigen Gelächters zugetragen. Zwei Mal war er aus der Hütte gelaufen, hatte aber außer abgebrochenen Ästen und funkelnden Sternen nichts gesehen.
    Dann hatte er in weiter Ferne einen Wolf gehört.
    Mit klopfendem Herzen hatte er angestrengt gelauscht, aber das Geheul war zu leise, die Bäume knarzten und rauschten zu laut. Er konnte nichts verstehen …
    Verzweifelt hatte er sich auf den Boden geworfen und beide Handflächen fest auf die Erde gedrückt, um dem schwachen Beben nachzuspüren, das Wolfsgeheul manchmal verursachte.
    Nichts.
    Hatte er es tatsächlich heulen gehört? Oder war er einer Selbsttäuschung erlegen?
    Er war fast die ganze Nacht wach geblieben, aber das Geheul wiederholte sich nicht. War es nur Einbildung gewesen? Nein.
    Ein krächzender Seevogel schreckte ihn auf.
    Zu seiner Rechten lichtete sich das Dickicht, und als er ein paar Schritte hineinmachte, wäre er um ein Haar in einen Abgrund gestürzt. Er stand auf einer nicht besonders hohen, aber steil abfallenden Klippe, auf deren spärlicher Erdkrume nur wenige Bäume wurzelten. Offenbar nisteten dort auch die krächzenden Vögel.
    Daraufhin wandte er sich nach Westen und passte besser auf, wo er hintrat. Kiefernnadeln dämpften seine Tritte. Das eigene Atmen klang ihm laut in den Ohren. Der Boden wurde abschüssig und mit einem Mal gab es überhaupt keine Bäume mehr und er wurde von der Sonne geblendet. Er hatte den Wald hinter sich gelassen.
    Vor ihm mündete das Breitwasser in eine Art lang gestreckten, schmalen See, der allerdings kein erkennbares Ufer hatte. Im Westen sah man eine kieferbestandene Inselgruppe. Es mochte sich um die Robbeninseln handeln, die Heimat der Mutter seines Vaters. Dahinter erstreckte sich, glitzernd und in Dunst gehüllt, das offene Meer.
    Wieder wurden bei diesem Anblick Erinnerungen wach.
    Sieben Sommer war er alt gewesen und vor Aufregung außer Rand und Band. Bis dahin hatte ihn sein Vater von allen anderen Menschen fern gehalten, aber an jenem Tag wollten sie am großen Sippentreffen teilnehmen. Weshalb er sich dazu entschlossen hatte, darüber hatte Fa nicht mit ihm gesprochen, ebenso wenig darüber, warum sie sich zuvor das Gesicht mit dem Saft zerdrückter Bärentrauben einreiben mussten. Fa hatte ein Spiel daraus gemacht und scherzhaft verkündet, niemand solle sie beide erkennen.
    Torak hatte das lustig gefunden und in kindlicher Unwissenheit angenommen, dass auch die anderen Teilnehmer des Treffens ihren Spaß daran haben würden.
    Bei ihrer Ankunft war das Ufer an der Mündung des Breitwassers bereits mit unzähligen Hütten übersät. Torak staunte über die vielen verschiedenen Bauweisen: aus Ästen und Rinde, aus Grassoden und Fellen … und über die vielen Menschen

Weitere Kostenlose Bücher