Chronik der dunklen Wälder - Seelenwanderer: Band 2 (German Edition)
er sich an den Ältesten. »Er ist tatsächlich unser Blutsverwandter.«
Der alte Mann musterte den Gefangenen mit zusammengekniffenen Augen.
Bale schüttelte ungläubig den Kopf.
»Heißt das, ihr wollt mir helfen?«, fragte Torak. »Ihr gebt mir von dem Heiltrank?«
Tenris wandte sich nach Islinn um. »Das musst du entscheiden.« Aber er beugte sich vor und raunte dem Alten etwas ins Ohr.
Tenris und Bale halfen dem Clanältesten hoch. »Da du unser Verwandter bist«, brachte er mühsam heraus, »betrachten wir dich als einen der Unsrigen.« Er musste Atem holen. »Hätte einer von uns das Gesetz gebrochen, hätte er die Mutter wieder beschwichtigen müssen. Das gilt auch für dich. Morgen bringen wir dich zum Stein hinüber. Dort wirst du einen Mond allein verbringen.«
Kapitel 19
TORAK STEHT WIEDER am Waldrand. Die Sonne scheint, das Meer glitzert blau, und er selbst ist ganz außer Atem vor Lachen, als er sich mit Wolf im Sand wälzt.
Ein wahrer Wirbel von Schwanzwedeln, tapsigen Pfoten und Luftsprüngen! Wolf landet mit seinem ganzen Gewicht auf Toraks Brust, wirft ihn um und bedeckt sein Gesicht mit zärtlichem Begrüßungsgeknabber. Torak packt ihn am Nackenfell, leckt ihm über die Schnauze und erzählt ihm mit leisem, leidenschaftlichem Fiepen, dass er ihn schrecklich vermisst hat.
Wie Wolf gewachsen ist! Flanken und Schenkel sind muskulös und fest, und wenn er sich auf den Hinterbeinen aufrichtet und Torak die Vorderpfoten auf die Schultern legt, sind sie gleich groß. Aber er ist immer noch derselbe. Er hat immer noch klare Bernsteinaugen und duftet nach Süßgras und warmem, sauberem Pelz. Er ist immer noch eine Mischung aus welpenhafter Verspieltheit und rätselhafter Weisheit.
Wolf schleckt Torak mit rauer Zunge die Wange ab, dann flitzt er davon, dass der Sand aufstiebt, ist im Nu mit einem Tangstreifen im Maul wieder zurück und fordert Torak zum Spielen auf…
… dann treibt der Tang mit einem Mal im kalten Meer und beide kämpfen ums Überleben. Wolf hat panische Angst vor tiefem Wasser. Verzweifelt reckt er die Schnauze über die Wellen, legt die Ohren an, hat vor Todesfurcht ganz schwarze Augen. Torak will näher heranschwimmen und ihn beruhigen, aber seine Glieder sind albtraumhaft schwer, er wird immer weiter abgetrieben.
Da sieht er hinter Wolf die Finne des Jägers aus dem Wasser ragen.
Wolf hat ihn noch nicht entdeckt, aber er ist am nächsten dran, und der Jäger wird ihn als Ersten verschlingen.
Torak will einen Warnruf ausstoßen… aber er bringt keinen Laut heraus. Es gibt kein Entkommen. Kein Ufer. Nur das mitleidlose Meer und den mordlüsternen Jäger, der immer näher kommt.
Torak lässt Wolf nicht im Stich. Das ist so gewiss, wie ihm die eisigen Wellen ins Gesicht schlagen, so gewiss, wie er Torak heißt. Er zögert keinen Augenblick. Er weiß, was er zu tun hat.
Er holt tief Luft und taucht. Er kommt quälend langsam voran, aber er schafft es, zu Wolf zu gelangen, wieder aufzutauchen und dem Jäger den Weg abzuschneiden. Jetzt gibt er Wolf Deckung. Jetzt kann Wolf sich retten.
Nichts schützt Torak mehr vor der hohen schwarzen Finne. Er sieht die silbrigen Wellen sich kräuseln. Er sieht den großen, stumpfnasigen Kopf durchs grüne Wasser auf sich zuschießen. Vor Angst schlägt ihm das Herz bis zum Hals.
Der Jäger reißt den Rachen auf und will ihn verschlingen…
Torak erwachte zitternd.
Er lag mitten unter anderen Schlafenden in einer Robbenhütte. Seine Wangen waren tränennass. Unwirsch wischte er sich die Tränen aus dem Gesicht. Er sehnte sich danach, wieder im Traum mit Wolf vereint zu sein. Aber Wolf war weit fort und ihn selbst erwartete der Stein.
Eine Weile blieb er einfach liegen und starrte ins Zwielicht. Über seinem Kopf wölbten sich die Walrippen, aus denen das Gerüst der Hütte bestand. Die Abdeckung aus Robbenfell hob und senkte sich sanft. So hatte ihn der Wal schließlich doch noch verschlungen.
Leise stand er auf und bahnte sich zwischen den Schläfern einen Weg ins Freie. Bale drehte sich auf die Seite und öffnete misstrauisch ein Auge, hielt ihn aber nicht zurück. Sie wussten beide, dass Torak nirgendwohin konnte.
Torak stolperte ins graue Dämmerlicht hinaus. Hoch oben ballten sich Wolken um die schroffen Gipfel und legten sich weiter unten als Schleier um die Klippen. Nichts rührte sich im Robbenlager, nicht mal ein Hund.
Torak hatte Durst und ging am Ufer entlang zum Fuß des Wasserfalls, wo das Wasser über große Steine
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