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Chronik der dunklen Wälder - Seelenwanderer: Band 2 (German Edition)

Chronik der dunklen Wälder - Seelenwanderer: Band 2 (German Edition)

Titel: Chronik der dunklen Wälder - Seelenwanderer: Band 2 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Paver
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und er hatte schrecklichen Hunger.
    Er begriff inzwischen auch, weshalb sich niemand die Mühe gemacht hatte, ihn zu fesseln. Wohin hätte er fliehen sollen? Die Bucht war von Felsen umgeben. Im Süden stürzte ein Wasserfall einen Steilhang herunter, im Norden wand sich ein Pfad zu einem überhängenden Felsplateau hinauf, das wie der Bug eines riesigen Bootes vorsprang. Er konnte die Insel erst verlassen, wenn die Robben es erlaubten. Er war ihr Gefangener und unterdessen wurde bei den Sippen im Wald einer nach dem anderen krank und starb …
    Der Himmel färbte sich tiefblau. Es duftete nach Essen. Kochleder waren an Stützen aufgehängt, die offenbar aus Walknochen bestanden, und hellhaarige Frauen plauderten beim Umrühren miteinander. Anders als bei den Männern waren bei ihnen nicht die Arme, sondern die Waden mit den blauen Wellenlinien der Clantätowierung geschmückt.
    Daneben scharte sich eine Gruppe kichernder Mädchen um eine dampfende Grube, aus der köstlicher Bratengeruch aufstieg. Eine ähnliche Art zu kochen hatte Torak schon bei den Raben kennen gelernt, hier allerdings wurde etwas anders verfahren. Man hatte einen Fleischbrocken, so groß wie Torak, in Tang gewickelt, in die mit erhitzten Steinen gefüllte Grube gelegt und mit noch mehr Tang und Sand abgedeckt.
    Jetzt füllten die Frauen das Essen in Schüsseln. Offenbar waren sie ausschließlich fürs Kochen zuständig, das Zerlegen der Beute besorgten die Männer. Das fand Torak äußerst befremdlich. Gingen Robbenmädchen denn nicht auf die Jagd? Was Renn wohl dazu gesagt hätte?
    Mit knurrendem Magen sah er zu, wie sich die Sippe ums Feuer versammelte. Es kam immer noch niemand, um ihn zu holen.
    Die Versammelten stimmten ein Gemurmel an, das wie Meeresraunen klang, und reckten die Arme zum Himmel. Ein Mann trat aus dem Kreis heraus, derselbe, der sich zuvor das Haar abgeschnitten hatte. Er trug einen Korb Heringe, ging damit zu dem Walkieferbogen und stellte die Opfergabe darunter ab. Vermutlich dankte er damit dem Wal, dass er für die Sippe sein Leben gelassen hatte. Statt anschließend in die Runde zurückzukehren, verschwand der Mann jedoch in einer Höhle am Fuß des überhängenden Felsens.
    Torak hatte die Hoffnung schon fast aufgegeben, als ihn Detlan endlich holen kam. Sie setzten sich zusammen mit Asrif und Bale etwas abseits vom Feuer.
    Ein Mädchen brachte Torak eine Schüssel. Das Gefäß war so schwer, dass er es beinahe hätte fallen lassen, und er stellte verwundert fest, dass es aus Stein war. Weshalb, im Namen des Waldes, benutzte jemand Steingefäße? Die waren doch viel zu schwer zu tragen, wenn man das Lager abbrach und weiterzog.
    Ihm kam ein beunruhigender Gedanke. Vielleicht blieben die Robben ja immer an einem Ort.
    »Iss«, befahl Detlan und warf ihm einen Löffel zu.
    Torak schaute misstrauisch in die Schüssel. In einer matschigen, nach Meerwasser stinkenden Brühe schwammen ein dunkelrosa Fleischbrocken mit dicker grauer Schwarte, ein kleineres bläulich rotes Stück Fleisch, ein halber Hering und zwei lange, fingerähnliche, blasse Dinger.
    »Was ist?«, fragte Bale. »Ist dir das etwa nicht gut genug? Sei froh, dass du überhaupt was abkriegst.«
    »Hast du noch nie Scheidenmuscheln gegessen?«, wollte Asrif wissen.
    »Was ist da alles drin?«, erkundigte sich Torak.
    »Das Rote ist Walfleisch und das Graue obendrauf ist der Speck«, klärte ihn Detlan auf. Mit dem Messer spießte er den bläulichen Fleischbrocken in seiner eigenen Schüssel auf. »Walherz. Was ganz Besonderes. Davon bekommt jeder ein Stück, denn es macht uns stark und mutig wie den Wal.« Er steckte den Bissen in den Mund und kaute genüsslich.
    »So was Gutes gibt’s bei euch im Wald bestimmt nicht«, meinte Asrif.
    Auf diese Bemerkung ging Torak nicht ein, sondern widmete sich dem Essen. Das Walfleisch war zäh, der Speck fade und ranzig und die Scheidenmuscheln schmeckten nach gar nichts. Nur der Hering mundete ihm.
    »Hast du vorher wirklich noch nie eine Robbe gesehen?«, fragte Detlan.
    »Lass gut sein, Detlan, das ist doch Zeitverschwendung«, winkte Bale ab.
    Aber Detlan schien Toraks Unwissenheit als persönliche Kränkung aufzufassen. »Alles, was wir besitzen, verdanken wir den Robben«, erläuterte er mit feierlicher Miene. »Kleider, Hütten, Hautboote, Nahrung, Harpunen, Fackeln.« Er hielt inne, und man sah, dass er angestrengt überlegte, ob er etwas ausgelassen hatte.
    »Und was ist mit euren Jacken?«, fragte Torak, der

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