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Chronik der dunklen Wälder - Seelenwanderer: Band 2 (German Edition)

Chronik der dunklen Wälder - Seelenwanderer: Band 2 (German Edition)

Titel: Chronik der dunklen Wälder - Seelenwanderer: Band 2 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Paver
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Torak stammte, denn ganz in der Nähe fand sich eine seiner Angelleinen. Nur Torak selbst war spurlos verschwunden, als hätte ihn das Meer einfach mitgenommen.
    Abends war Renn in ihren Schlafsack gekrochen, hatte dem Raunen der Wellen gelauscht und gegrübelt, was ihrem Freund zugestoßen sein mochte. Vielleicht hatte die Meermutter ja einen Sturm geschickt, um ihn einen Pfeilschuss vom Land entfernt zu ersäufen. Vielleicht hatte er sich im langen grünen Haar ihres Verborgenen Volkes verfangen…
    Sie sank in einen unruhigen Schlaf.
    Wolf aber streifte die ganze Nacht ruhelos am Ufer umher.
    Bis zum anderen Morgen. Er wollte nichts fressen, wollte nicht jagen gehen und zeigte kaum Interesse an den Eissturmvögeln, die in den Felsen nisteten – was auch ganz gut war, denn deren Jungen bespuckten Angreifer mit einer stinkenden, öligen Flüssigkeit, und Renn hätte nicht gewusst, wie sie das Wolf hätte klar machen sollen. Inzwischen war es Nachmittag. Sie hielt das Warten nicht mehr aus. »Ich muss Hilfe holen«, verkündete sie, obwohl Wolf sie nicht verstehen konnte, aber es tat ihr gut, es laut auszusprechen. »Kommst du mit?«
    Wolf drehte ihr die Ohren zu, rührte sich aber nicht vom Fleck.
    »Vielleicht hat ihn ja jemand gesehen«, fuhr Renn fort. »Ein Trupp Jäger … oder sonst irgendwer. Komm, wir gehen!«
    Wolf sprang auf einen Felsen und blickte übers Meer.
    »Bitte, Wolf! Ich mag nicht ohne dich gehen.«
    Wolf wandte nicht einmal den Kopf.
    Das war auch eine Antwort. Sie musste allein losziehen. Mit zugeschnürter Kehle schulterte sie ihre Trage und machte sich auf den Rückweg zum Wald.
    Sie hörte noch, wie Wolf erneut in Geheul ausbrach.

    Wolf war hin- und hergerissen.
    Einerseits hatte er das Gefühl, er sollte an diesem grässlichen Ort auf seinen Rudelgefährten warten, andererseits drängte es ihn, das Weibchen in den Wald zu begleiten.
    Er fühlte sich ausgesprochen unwohl. Die helle Erde piekte ihm in den Augen, die heißen Felsen verbrannten ihm die Pfoten und die Fischvögel krächzten ihm feindselig die Ohren voll. Am meisten aber fürchtete er das riesenhafte, ächzende Wesen, das schlummernd zu seinen Füßen lag. Es hatte einen dumpfen, kalten Geruch, den er wieder erkannte, auch wenn er ihm noch nie begegnet war, und wenn es erwachte …
    Es wollte Wolf nicht in den Kopf, weshalb sich Groß Schwanzlos an einen Ort begeben hatte, wohin ihm sein Rudelgefährte unmöglich folgen konnte, und schon gar nicht begriff er, weshalb Groß Schwanzlos’ Geruch mit dem von drei anderen Schwanzlosen vermischt war. Wolf witterte, dass es sich um halbwüchsige Männchen handelte, dass sie verärgert waren und nicht aus dem Wald stammten, sondern mit dem Großen Nass zu tun hatten.
    Nun war auch noch das Weibchen fort, war nach Schwanzlosart unter großem Radau im Unterholz verschwunden. Das gefiel Wolf überhaupt nicht. Sie war zwar manchmal ziemlich übellaunig, aber sie konnte auch klug und freundlich sein. Sollte er sie doch begleiten? Und wenn nun Groß Schwanzlos wiederkam und niemand ihn erwartete?
    Wolf lief immerzu im Kreis und kam zu keinem Entschluss.

    Renn war überrascht, dass ihr Wolf so fehlte.
    Ihr fehlte seine Wärme, wenn er sich an sie schmiegte, und sein ungeduldiges Winseln, wenn er einen Lachsfladen wollte. Ja, ihr fehlte sogar sein begeistertes Gekläff, jedes Mal wenn er irgendwo ein paar Enten erspähte.
    Sie war gekränkt, dass er sie nicht hatte begleiten wollen, und fühlte sich einsam, als sie das Breitwasser auf ein paar Trittsteinen überquerte, um zum Birkengehölz am anderen Ufer zu gelangen. Nicht zum ersten Mal fragte sie sich, was sie hier eigentlich zu suchen hatte, fern ihrer Sippe, in einer Gegend, die von einer verheerenden Krankheit heimgesucht wurde. Hätte Torak gewollt, dass sie ihn begleitete, hätte er sie schließlich darum bitten können. Sie war auf der Suche nach einem Freund, dem sie gleichgültig war.
    Je weiter sie in den Wald vordrang, desto beunruhigender fand sie die Stille. Kein Blatt rührte sich, keine Drossel zwitscherte.
    Und sie begegnete keinem Menschen. Sie kannte sich in diesem Teil des Waldes aus, denn als sie neun war, hatte Fin-Kedinn sie als Ziehtochter zu den Walen geschickt, damit sie die Sitten und Bräuche der Meerclans kennen lernte. Sie wusste, dass an der Küste viele verschiedene Sippen lebten: die Seeadler, die Lachse, die Weiden. Im Frühling folgten sie dem Dorsch, im Sommer dem Lachs, und im Winter machten sie Jagd

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