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Chronik der dunklen Wälder - Wolfsbruder: Band 1 (German Edition)

Chronik der dunklen Wälder - Wolfsbruder: Band 1 (German Edition)

Titel: Chronik der dunklen Wälder - Wolfsbruder: Band 1 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Paver
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und wiegte sich hin und her. »Zu hell, viel zu hell, all die strahlenden, strahlenden Seelen! Tut weh, so weh! Sie sind schuld, der Wolfsjunge und das Rabenmädchen! Sie tragen’s in Streuners schönes Tal!«
    »Aber wir sind doch schon fast wieder aus dem Tal heraus«, wandte Renn ein.
    »Ja, sieh doch«, bekräftigte Torak, »wir sind fast schon oben.«
    Aber der Streuner wollte sich nicht beruhigen lassen. »Warum machen sie das?«, rief er. »Warum? Der Streuner hat ihnen doch nichts getan!« Er schwang die Bögen über dem Kopf und packte sie dann an den Enden, als wollte er sie entzweibrechen.
    Das war zu viel für Renn. »Wag es nicht!«, schrie sie. »Wehe, du tust meinem Bogen etwas an!«
    »Zurück!«, keifte der Streuner. »Oder er bricht sie durch wie morsche Äste!«
    »Runter damit!«, brüllte ihn Renn an und sprang vergeblich an ihm hoch.
    Torak musste rasch handeln. Hastig öffnete er seinen Vorratsbeutel und streckte die offene Hand aus. »Nüsse!«, rief er. »Haselnüsse für Narik!«
    Die Wirkung stellte sich sofort ein. »Haselnüsse«, brummte der Streuner, ließ die Bögen fallen, schnappte sich die Nüsse aus Toraks Hand und ging in die Hocke. Dann zog er einen Stein aus seinem Mantel und fing an, die Nüsse zu knacken. »Hm, schön süß. Da wird sich Narik freuen.«
    Schweigend hob Renn die Bögen auf und wischte sie trocken. Sie reichte Torak seinen, aber der nahm ihn nicht. Er starrte auf den Stein, den der Streuner zum Nüsseknacken benutzte. »Wer ist eigentlich Narik?«, fragte er, darauf bedacht, den Streuner abzulenken, damit er den Stein aus der Nähe betrachten konnte. »Ist das dein Freund?«
    »Der Streuner sieht ihn«, nuschelte der Mann. »Warum sieht ihn der Wolfsjunge nicht? Hat er was an den Augen?« Er steckte die Hand in den Umhang und zog eine räudige braune Maus hervor. Sie hielt eine halbe Haselnuss in den Pfötchen und blickte verärgert um sich.
    Torak sah sie erstaunt an. Die Maus nieste und widmete sich dann wieder ihrem Festmahl.
    Der Streuner strich zärtlich mit dem schmutzigen Finger über den kleinen, gewölbten Rücken. »Ja, das ist Streuners Ziehkind.«
    Der Stein lag unbeachtet auf dem Boden. Er war ungefähr so groß wie Toraks Hand: eine scharfe, gebogene Klaue, aus schwarzem glänzendem Gestein gemeißelt.
    Wo es eine Steinklaue gibt, gibt es womöglich auch einen Steinmund? Torak warf Renn einen raschen Blick zu. Sie hatte es ebenfalls gesehen, und nach ihrem Gesichtsausdruck zu schließen, hatte sie den gleichen Gedanken. Es beißt uralter steinerner Mund. Das musste der zweite Bestandteil der Nanuak sein.
    »Dieser Stein da …«, begann Torak zögernd, »ob mir der Streuner wohl verrät, wo er ihn herhat?«
    Ganz von seiner Maus in Anspruch genommen, hob der Mann den Kopf. Dann verzerrte sich sein Gesicht. »Steinmaul«, sagte er gedehnt. »Lange her, schlimme Zeit. Er versteckt sich. Otter jagen ihn weg, aber er hat sein schönes Tal noch nicht gefunden.«
    Wieder wechselten Torak und Renn einen Blick. Sollten sie noch einen Wutanfall riskieren?
    »Dieses Steinwesen«, hakte Torak nach. »Hat es auch steinerne Zähne im Maul?«
    »Na klar!«, knurrte der Streuner, »wie soll es sonst essen?«
    »Und wo ist es jetzt?«, fragte Renn.
    »Der Streuner hat’s doch schon gesagt: im Steinmaul!«
    »Und wo lebt das Wesen mit dem Steinmaul?«
    Mit einem Mal erschlaffte das Gesicht des Streuners und er sah sehr müde aus. »Schlimmer Ort«, flüsterte er. »Sehr schlimm. Die todbringende Erde, die alles schlingt und schluckt. Die Wächter sind überall. Sie sehen dich, aber du siehst sie nicht. Erst wenn’s zu spät ist.«
    »Sag uns, wie wir dorthin kommen«, bat Torak.

Kapitel 19

    »WIE KANN ES überhaupt ein Geschöpf aus Stein geben?«, fragte Renn verdrossen. Seit dem Verlust ihres Köchers hatte sich ihre Stimmung nicht wesentlich gebessert.
    »Weiß ich auch nicht«, sagte Torak zum zehnten Mal.
    »Was für ein Wesen soll das überhaupt sein? Ein Wildschwein? Ein Luchs? Wir hätten ihn fragen sollen.«
    »Wahrscheinlich hätte er es uns nicht verraten.«
    Renn stemmte die Hände in die Hüften und schüttelte den Kopf. »Wir haben seine Anweisungen genau befolgt. Wir sind zwei ganze Tage gelaufen. Haben drei Täler durchquert. Sind dem Bach gefolgt, den er erwähnt hat. Aber gefunden haben wir nichts. Ich glaube, er wollte uns einfach nur los werden.«
    Der gleiche Gedanke war Torak auch schon gekommen, aber er wollte es nicht zugeben. Der

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