Chronik der dunklen Wälder - Wolfsbruder: Band 1 (German Edition)
dämmerige Höhle ausmachen. Der Gestank der wabernden Schwaden wurde überwältigend. Er stand in den tropfenden, stinkenden Eingeweiden der Erde.
Das Sims, auf dem er gegangen war, hörte hier auf, und der Boden dahinter war uneben und bucklig. Mitten in der Höhle lag ein großer, flacher Stein. Er schimmerte wie schwarzes Eis und sah aus, als läge er schon seit zahllosen Wintern unberührt da. Sogar aus zwanzig Schritt Entfernung spürte Torak seine Macht.
Hier hatte der Streuner also seine Steinklaue gefunden. Das war also der Grund für die warnende Hand am Höhleneingang. Das bewachten also die Wächter – ein Tor zur Anderen Welt.
Um sich zu beruhigen, legte Torak die freie Hand auf das Heft seines Messers. Der mit Sehnen umwickelte Griff fühlte sich ein wenig warm an und verlieh ihm den nötigen Mut, auf den Höhlenboden hinabzusteigen.
Kaum stand er unten, schrie er vor Ekel laut auf. Der Boden unter seinen Stiefeln gab nach, etwas widerlich Weiches wollte ihn in die Tiefe ziehen. »Die todbringende Erde, die alles schlingt und schluckt …«
Sein Schrei hallte von den Wänden wider und hoch über sich nahm er eine fast unmerkliche Bewegung wahr. Etwas Dunkles löste sich von der Decke und stieß auf ihn herab.
Es gab nirgends ein Versteck, nirgends eine Zuflucht. Der weiche Boden saugte wie nasser Sand an seinen Stiefeln. Ein Gestank aufwirbelndes Schwirren und das Ding war über ihm: Fettiges Fell verstopfte ihm Mund und Nase, scharfe Klauen zerrten an seinem Haar. Entsetzt schlug er um sich.
Schließlich flatterte der stumme Angreifer mit einem ledrigen »Flapp« davon. Doch Torak wusste, dass er nicht fort war. Der Wächter hatte lediglich herausfinden wollen, mit welchem Eindringling er es zu tun hatte.
Aber was war das für ein Wächter gewesen? Eine Fledermaus? Ein Dämon? Wie viele davon gab es noch?
Torak taumelte weiter. Auf halbem Weg stolperte er und fiel hin. Der Gestank war unerträglich. Er tastete im würgenden Dunkel umher, konnte nichts mehr sehen, nichts mehr denken. Sogar das Binsenlicht färbte sich schwarz – eine schwarze Flamme, die über ihm flackerte …
Schwankend kam er wieder auf die Beine und schnappte wie ein aufgetauchter Schwimmer nach Luft. Er beruhigte sich ein wenig. Die schwarze Flamme brannte wieder gelb.
Er erreichte den Stein. Auf der vor uralten Zeiten geglätteten Oberfläche waren sechs Steinklauen zu einer Spirale angeordnet. Dort, wo der Streuner die siebte entwendet hatte, klaffte eine Lücke, und in der Mitte lag ein einzelner schwarzer Steinzahn.
» Es beißt uralter steinerner Mund .« Der zweite Bestandteil der Nanuak.
Schweiß rann Torak den Rücken herunter. Er fragte sich, welche Mächte er wohl entfesselte, wenn er den Zahn berührte.
Er streckte die Hand aus, zog sie aber sofort wieder zurück, denn er erinnerte sich an Renns Mahnung: »Berühre die Nanuak niemals mit bloßen Händen.«
Wo war der Handschuh? Er musste ihn unterwegs verloren haben.
Er leuchtete mit dem Binsenlicht um sich, tauchte tastend die Hand in die stinkenden Buckel. Wieder wurde er benommen und die Flamme wurde dunkel …
Gerade noch rechtzeitig fand er den Handschuh, der immer noch an seinem Gürtel baumelte. Er streifte ihn über und griff nach dem Steinzahn.
Das Binsenlicht ließ die Höhlenwand hinter dem Stein aufschimmern – und fing sich im Glitzern unzähliger Augen.
Toraks Hand schwebte unschlüssig über dem Zahn und er bewegte die Flamme langsam hin und her. Das Augenmeer glänzte feucht. Die Wände waren mit Wächtern übersät. Überall wo das Licht sie erreichte, wimmelte und zuckte es wie ein von Maden befallenes Stück Aas. Wenn er den Zahn an sich nahm, würden sie sich auf ihn stürzen.
Und dann geschah alles auf einmal.
Von weit oben ertönte Wolfs schneidendes Gebell.
Renn schrie. »Torak! Er kommt!«
Die Wächter stoben auf.
Das Binsenlicht erlosch.
Etwas traf ihn am Rücken und er fiel vornüber auf den Stein.
Wieder schrie Renn: »Torak! Der Bär!«
Kapitel 20
MIT TORAKS KÖCHER in der Hand hastete Renn zum Pfad zurück und stolperte über eine Baumwurzel, worauf sich die Pfeile auf den Boden ergossen. Angst schnürte ihr die Kehle zu. Was soll ich tun? Was soll ich bloß tun?
Kurz zuvor war sie noch unruhig auf und ab gegangen und hatte zugesehen, wie sich ein Schwarm Grünfinken an den saftigen hellroten Eibenbeeren gütlich getan hatte. Wolf hatte an der Leine gezerrt und Laute zwischen Bellen und Knurren
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