Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Chronik der dunklen Wälder - Wolfsbruder: Band 1 (German Edition)

Chronik der dunklen Wälder - Wolfsbruder: Band 1 (German Edition)

Titel: Chronik der dunklen Wälder - Wolfsbruder: Band 1 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Paver
Vom Netzwerk:
Kiefernwald einen schlummernden Fluss bewachte.
    »Ist dir auch aufgefallen«, sagte Renn, als sie sich nach einem freudlosen Nachtmahl in einer eilig errichteten Hütte zusammenkauerten, »dass wir kein einziges Rentier gesehen haben? Inzwischen müsste es hier von Rentieren nur so wimmeln.«
    »Daran habe ich auch schon gedacht«, erwiderte Torak. Er wusste so gut wie Renn, dass der Schnee auf den Hochmooren die Herden in den tiefer gelegenen Wald getrieben haben musste, wo sie sich an Moos und Pilzen dick und rund fressen konnten. Manchmal fraßen sie so viele Pilze, dass sogar ihr Fleisch danach schmeckte.
    »Was sollen wir bloß machen, wenn die Rentiere nicht kommen?«, fuhr Renn fort.
    Torak sagte nichts. Die Rentiere sicherten den Sippen das Überleben: Sie lieferten ihnen Fleisch und Fell für Schlafsäcke und Kleidung.
    Er überlegte, wo er Winterkleider herbekommen sollte. Renn war so vorausschauend gewesen, ihre Wintersachen anzuziehen, ehe sie das Lager der Raben verlassen hatten. Leider war es ihr nicht gelungen, auch welche für ihn zu stehlen, weswegen er außer seinen leichten Sommerkleidern nichts dabeihatte, jedenfalls nichts auch nur annähernd so Wärmendes wie die langen Felljacken und Beinfelle, die er und Fa jeden Herbst anfertigten.
    Selbst wenn es ihnen gelingen sollte, ein Ren zu erlegen, war es zu spät, noch Kleidung zu nähen. Hinter der Nebelwand stieg das rote Auge des Großen Auerochsen immer höher.
    Torak schloss die Augen, um diesen Gedanken zu vertreiben, und fiel schließlich in unruhigen Schlaf. Aber jedes Mal wenn er zwischendurch aufwachte, stieg ihm der eigenartige Aasgeruch in die Nase.
    Der folgende Morgen kündigte sich noch kälter und nebliger an, und sogar Wolf, der sie weiter stromaufwärts führte, wirkte bedrückt. Sie kamen an eine umgestürzte Eiche, die wie ein Steg über dem Fluss lag, und krochen auf allen vieren ans andere Ufer. Kurz darauf gabelte sich der Weg. Nach links ging es in ein birkenbestandenes, nebliges Tal hinunter, die rechte Abzweigung führte bergauf in eine feuchte Klamm, deren schroffe, bemooste Steilwände nicht sehr einladend aussahen.
    Zu ihrer Bestürzung entschied sich Wolf für den rechten Abzweig.
    »Das kann nicht richtig sein!«, protestierte Renn. »Der Berg liegt im Norden! Warum will er immerzu nach Osten?«
    Torak schüttelte den Kopf. »Mir kommt es auch falsch vor, aber er scheint seiner Sache ganz sicher zu sein.«
    Renn schnaubte verächtlich. Sie wurde sichtlich wieder von Zweifeln geplagt.
    Beim Anblick des geduldig wartenden Wolf empfand Torak ein leises Schuldgefühl. Der Welpe war noch nicht mal vier Monde alt. Eigentlich hätte er sorglos vor seiner Höhle spielen sollen, statt durch die Berge zu strolchen. »Ich glaube, wir sollten auf ihn hören.«
    »Mmm«, brummte Renn.
    Dann rückten sie die Tragen auf den schmerzenden Schultern zurecht und betraten die Klamm.
    Kaum waren sie zehn Schritt gegangen, begriffen sie, dass die Klamm sie nicht durchlassen wollte. Fichten versperrten ihnen mit ausgebreiteten Armen den Weg. Ein Felsbrocken polterte vor ihnen herab, ein anderer donnerte dicht hinter Renn auf den Pfad. Der Aasgestank wurde stärker. Aber wenn er tatsächlich von einem toten Wild herrührte, war es sehr merkwürdig, dass sie nicht hörten, wie sich Raben um den Kadaver zankten.
    Der Nebel wurde so dicht, dass sie kaum zwei Schritt weit sehen konnten. Sie hörten nur das Tropf-Tropf des Taus auf dem Farn und das Gurgeln eines Baches, der zwischen überwucherten Ufern dahineilte. Torak fing an, im dichten Dunst Bärengestalten zu sehen. Er beobachtete Wolf genau, aber der Welpe trabte unerschrocken voran.
    Gegen Mittag – besser gesagt, als sie das Gefühl hatten, es müsste Mittag sein – machten sie Rast. Wolf legte sich hechelnd auf den Boden und Renn ließ ihre Trage von den Schultern gleiten. Ihr Gesicht war vor Anstrengung verzerrt, ihr Haar klatschnass. »Da weiter hinten hab ich Schilf gesehen«, sagte sie. »Ich geh mir eine Kappe flechten.« Sie hängte die Bögen und Köcher an einen Ast und stapfte davon. Wolf stand auf und tapste hinterher.
    Torak ging neben dem Bach in die Hocke und füllte die Wassersäcke auf. Es dauerte nicht lange, da hörte er Renn zurückkommen.
    »Das ging ja schnell«, meinte er.
    » Raus!« , brüllte da jemand hinter ihm. »Raus aus dem Tal des Streuners, sonst schneidet euch der Streuner die Kehle durch!«

    Torak wirbelte herum und sah einen unglaublich verdreckten

Weitere Kostenlose Bücher