Chronik der dunklen Wälder - Wolfsbruder: Band 1 (German Edition)
Gerüche betäubten ihn. Nicht gut, nicht gut, nicht gut! Aller Mut verließ ihn. Winselnd verkroch er sich unter einen umgestürzten Baum.
Der Bau verhieß schreckliche Gefahr. Er war riesig und unübersichtlich, voller wütender Hunde, die nicht zuhören wollten, und vielen Hellen-Tieren-die-heiß-beißen. Am schlimmsten jedoch waren die Schwanzlosen selbst. Sie konnten zwar schlecht hören und riechen, aber das machten sie dadurch wett, dass sie geschickte Dinge mit ihren Vorderpfoten anstellten und die Lange-Klaue-die-fliegt entsandten, um die Beute zu beißen.
Wolf wusste nicht, ob er weglaufen oder dableiben sollte.
Um besser nachdenken zu können, kaute er erst an einem Zweig und dann an einem Brocken Weiches Weißes Kalt. Er rannte im Kreis. Nichts half. Er sehnte sich nach der seltsamen Gewissheit, die ihn manchmal überkam und ihm sagte, was er zu tun hatte. Aber sie kam nicht. Sie war wie ein Rabe ins Oben geflogen.
Was sollte er bloß tun?
Torak machte sich Vorwürfe. Weil er unvorsichtig gewesen war, hatte er die Nanuak verloren. Es war alles seine Schuld. Rings um ihn warfen die schneebedeckten Bäume blaue Mondschatten auf den Pfad. »Deine Schuld«, schienen sie ihm höhnisch zuzurufen.
»Schneller«, befahl Hord und stieß ihn vor sich her.
Die Raben hatten ihr Lager an einem Gebirgsbach aufgeschlagen. Auf der Lichtung glomm ein Langfeuer aus drei Kiefernstämmen. Darum drängten sich die schrägen Hütten der Sippe, um die wiederum ein Ring kleinerer Feuer und pfahlbewehrter Fallgruben errichtet war, die von Männern mit Speeren bewacht wurden. Es sah aus, als sei die gesamte Sippe hierher nach Norden gezogen.
Hord lief vor, während Torak mit Oslak vor einer der Hütten wartete. Als er Renn entdeckte, fasste er wieder etwas Mut. Sie kniete am Eingang einer Hütte auf der anderen Seite der Lichtung und redete aufgeregt auf jemand Unsichtbaren ein. Sie sah Torak nicht.
Am Langfeuer waren viele Leute versammelt. Bedrückende Angst lag in der Luft. Oslak zufolge hatten Kundschafter nur zwei Täler weiter Bärenspuren entdeckt. »Er wird stärker«, sagte der Hüne. »Er verwüstet den Wald, als ob … als ob er etwas sucht.«
Torak fröstelte. Hords Gewaltmarsch hatte ihn aufgewärmt, aber jetzt fing er in seinem Sommerleder zu frieren an. Hoffentlich dachten die anderen nicht, er hätte Angst.
Oslak band seine Hände los und nahm ihn bei der Schulter, um ihn auf die Lichtung zu führen. Als Torak in den Schein des Langfeuers und das Summen der Stimmen stolperte, das sich wie ein Schwarm wütender Bienen anhörte, vergaß er die Kälte.
Er sah Saeunn mit untergeschlagenen Beinen auf einem Stapel Rentierfelle kauern, der Rabenhautbeutel lag in ihrem Schoß. Hord saß daneben und kaute an seinem Daumen, Dyrati beobachtete ihn mit sorgenvoller Miene.
Es wurde still. Die Versammelten machten vier Männern Platz, die Fin-Kedinn auf einer Trage aus Auerochsenfell herbeitrugen. Das Gesicht des Anführers war eingefallen, sein linkes Bein verbunden. Auf den Verbänden aus weichem Birkenbast zeichneten sich Blutflecken ab. Er verzog ein wenig das Gesicht, als ihn die Männer am Feuer absetzten, sonst ließ er sich nicht anmerken, dass er Schmerzen litt.
Renn erschien und rollte einen Kiefernklotz hinter Fin-Kedinn, damit er sich anlehnen konnte. Dann kauerte sie sich neben ihn auf ein Rentierfell. Sie sah nicht zu Torak herüber, sondern hielt den Blick aufs Feuer gerichtet.
Oslak stieß Torak in den Rücken und er machte ein paar zögerliche Schritte auf die Trage zu.
Der Anführer der Raben suchte seinen Blick und hielt ihn fest. Torak spürte einen Anflug von Erleichterung. Die blauen Augen waren ungetrübt. Hord würde noch eine Weile warten müssen, bis er Sippenführer wurde.
»Als wir diesen Jungen kürzlich aufgriffen«, sagte Fin-Kedinn mit klarer, tragender Stimme, »wussten wir nicht, wer oder was er ist. Inzwischen hat er die drei Bestandteile der Nanuak gefunden und einer der unseren das Leben gerettet.« Er machte eine kleine Pause. »Ich hege keine Zweifel mehr – er ist der Lauscher. Die Frage lautet nur: Lassen wir ihn die Nanuak zum Berg bringen? Einen Jungen, ganz allein? Oder sollen wir unseren stärksten Jäger schicken, einen ausgewachsenen Mann, der sich besser gegen den Bären behaupten kann?«
Hord ließ seinen Daumen in Ruhe und richtete sich stolz auf. Toraks Mut sank.
»Die Zeit ist knapp«, sagte Fin-Kedinn mit einem Blick zum Nachthimmel, an dem der Große
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