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Chronik der dunklen Wälder - Wolfsbruder: Band 1 (German Edition)

Chronik der dunklen Wälder - Wolfsbruder: Band 1 (German Edition)

Titel: Chronik der dunklen Wälder - Wolfsbruder: Band 1 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Paver
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zurück!«
    »Halt den Mund!«
    »Wieso sollte ich? Wer gibt dir das Recht –«
    Hord schlug sie so fest ins Gesicht, dass sie hinfiel.
    Oslak wollte protestieren, doch Hord wies ihn barsch zurecht. Schwer atmend sah er zu, wie Renn sich aufsetzte. »Du bist nicht mehr meine Schwester«, fauchte er. »Als wir deinen Köcher im Bach fanden, hielten wir dich für tot. Fin-Kedinn hat drei Tage kein Wort gesprochen, aber ich habe nicht getrauert, ich war froh! Du hast die Sippe verraten und mir Schande gemacht. Mir wäre es lieber, du wärst tot.«
    Renn hob die zitternde Hand an die Lippe. Sie blutete. Ein roter Striemen zeichnete sich auf ihrer Wange ab.
    »Du hättest sie nicht schlagen sollen«, sagte Torak.
    Hord drehte sich um. »Halt du dich da raus!«
    Torak musterte Hord. Er hatte sich erschreckend verändert. Anstelle des kräftigen jungen Mannes, gegen den er vor weniger als einem Mond gekämpft hatte, sah er sich jetzt einem ausgemergelten Schatten gegenüber. Hords Augen waren vom Schlafmangel gerötet, und die Hand, in der er die Nanuak hielt, hatte statt Fingernägeln nässende Wunden. Irgendetwas fraß an ihm.
    »Glotz mich nicht so an«, knurrte er.
    »Hord«, mischte sich Oslak ein, »wir müssen weiter. Der Bär …«
    Hord fuhr herum und spähte angestrengt ins Dunkel. »Der Bär, der Bär«, murmelte er, als verursachte ihm allein der Gedanke Schmerzen.
    »Komm schon, Renn.« Oslak bückte sich und reichte ihr die Hand. »Wir packen gleich einen Breiumschlag drauf. Es ist nicht mehr weit bis zum Lager.«
    Renn beachtete ihn nicht und rappelte sich ohne Hilfe auf.
    Torak sah in einiger Entfernung ein gelbrotes Flackern durch die rasch zunehmende Dämmerung dringen, und noch näher, im Schatten einer jungen Rottanne, ein bernsteinfarbenes Augenpaar.
    Sein Herz machte einen Satz. Wenn Hord Wolf entdeckte, war nicht vorauszusagen, wie er reagierte …
    Zum Glück zog Renn alle Aufmerksamkeit auf sich. »Ist mein Bruder jetzt der Anführer unserer Sippe?«, wollte sie wissen. »Folgt ihr ihm statt Fin-Kedinn?«
    Die Männer senkten die Köpfe.
    »So einfach ist das nicht«, sagte Oslak. »Der Bär hat das Lager vor drei Tagen angegriffen. Er hat …« Seine Stimme brach. »Er hat zwei von uns getötet.«
    Alles Blut wich aus Renns Gesicht. Sie trat näher an Oslak heran, dessen Stirn und Wangen mit grauem Flusslehm bemalt waren.
    Torak wusste nicht, was die Zeichen bedeuteten, doch als Renn sie sah, blieb ihr vor Schreck die Luft weg. »Nein«, flüsterte sie und berührte Oslaks Hand.
    Der Hüne nickte und wandte sich ab.
    »Was ist mit Fin-Kedinn?«, fragte Renn mit schriller Stimme. »Ist er…«
    »Schwer verwundet«, erwiderte Hord. »Wenn er stirbt, werde ich Anführer. Dafür sorge ich schon.«
    Renn schlug die Hände vor den Mund und rannte in Richtung Lager.
    »Renn!«, rief Oslak. »Komm zurück!«
    »Lass sie doch«, brummte Hord.
    Als Renn weg war, kam sich Torak vollends verlassen vor. Er wusste nicht einmal, wie die anderen Rabenmänner hießen. »Oslak«, flehte er, »du musst Hord dazu bringen, dass er mir die Nanuak zurückgibt! Es ist unsere einzige Hoffnung, das weißt du.«
    Oslak wollte etwas antworten, doch Hord fiel ihm ins Wort. »Du hast deine Schuldigkeit getan«, wies er Torak zurecht. »Jetzt bringe ich die Nanuak zum Berg! Ich werde das Blut des Lauschers als Opfer darbringen, um mein Volk zu retten!«

    Wolf war so verängstigt, dass er am liebsten losgeheult hätte. Wie sollte er seinem Rudelgefährten helfen? Warum ging plötzlich alles drunter und drüber?
    Während er den ausgewachsenen Schwanzlosen durch das Weiche Weiße Kalt folgte, kämpfte er gegen den Hunger an, der in seinem Magen wütete, obwohl der Geruch der Lemminge, die nur einen Sprung weit entfernt waren, ihm das Wasser ins Maul schießen ließ. Er rang mit der Verlockung, die jetzt so stark war, dass er sie die ganze Zeit über spürte, und mit der Angst vor dem Dämon, dessen Geruch der Wind mit sich führte. Er stellte die Ohren auf und lauschte dem fernen Geheul des Fremdrudels, das sich gar nicht mehr ganz fremd anhörte, sondern wie entfernte Verwandte …
    Das durfte ihn alles nicht kümmern. Sein Rudelgefährte war in Gefahr. Wolf spürte seinen Schmerz und seine Angst. Er spürte auch den Zorn der Ausgewachsenen und deren Angst. Sie fürchteten sich vor Groß Schwanzlos.
    Der Wind drehte sich und Wolf bekam Witterung von einem Duftgemisch aus dem großen Bau der Schwanzlosen. Geräusche und

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