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Chronik der dunklen Wälder - Wolfsbruder: Band 1 (German Edition)

Chronik der dunklen Wälder - Wolfsbruder: Band 1 (German Edition)

Titel: Chronik der dunklen Wälder - Wolfsbruder: Band 1 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Paver
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haben oder sollen wir deine flicken?«, blaffte Oslaks Gefährtin, die bei ihm Maß für Winterkleidung nahm.
    »Was?«
    »Stiefel«, wiederholte die Frau. Sie hatte müde Augen. Mit Flusslehm aufgemalte Zeichen zierten ihre Wangen. Und sie war wütend auf ihn, obwohl er nicht wusste, warum.
    »Ich bin an meine Stiefel gewöhnt. Vielleicht könntest du…«
    »Sie flicken?« Sie schnaubte verächtlich. »Meinetwegen.«
    »Danke«, sagte Torak bescheiden und warf Wolf, der mit angelegten Ohren in der Ecke kauerte, einen Blick zu.
    Oslaks Gefährtin griff nach einem Stück Sehne und drehte Torak um, um seine Schulterbreite auszumessen. »Ach, das passt schon«, brummte sie mürrisch. »Los, setz dich, setz dich!«
    Torak setzte sich hin und sah zu, wie sie Knoten in die Sehne knüpfte, um seine Maße festzuhalten. Ihre Augen waren feucht und sie musste immer wieder blinzeln. Sie ertappte ihn dabei, wie er sie beobachtete. »Was gibt’s da zu glotzen?«
    »Nichts«, erwiderte er. »Soll ich meine Kleider ausziehen?«
    »Nur wenn du erfrieren willst. Bis Tagesanbruch hast du deine neuen Sachen. Und jetzt gib mir die Stiefel!«
    Er tat wie geheißen, und sie betrachtete sein Schuhwerk angewidert, als wäre es ein Paar vergammelter Lachse. »Mehr Löcher als in einem Fischernetz«, schnaubte sie. Torak war heilfroh, als sie endlich aus der Hütte eilte.
    Kaum war sie weg, kam Renn herein. Wolf trottete zu ihr hin und leckte ihr die Finger. Sie kraulte ihn hinter den Ohren.
    Torak hätte sich gern bedankt, dass sie sich für ihn eingesetzt hatte, wusste aber nicht, wie er es anfangen sollte. Das Schweigen zog sich in die Länge.
    »Wie bist du mit Vedna zurechtgekommen?«, fragte Renn unvermittelt.
    »Vedna? Ach so, du meinst Oslaks Gefährtin. Ich glaube, sie kann mich nicht leiden.«
    »Nein, an dir liegt es nicht. Es liegt an deinen neuen Kleidern. Sie hatte sie gerade für ihren Sohn angefangen und jetzt muss sie die Sachen für dich fertig nähen.«
    »Für ihren Sohn?«
    »Der Bär hat ihn getötet.«
    »Oh.« Arme Vedna, dachte er, armer Oslak. Das erklärte auch den Flusslehm. Offenbar verliehen die Raben auf diese Weise ihrer Trauer Ausdruck.
    Die Strieme auf Renns Wange war inzwischen violett. Torak erkundigte sich, ob es wehtat. Renn schüttelte den Kopf. Vermutlich schämte sie sich für ihren Bruder.
    »Wie geht es Fin-Kedinn?«, fragte Torak weiter. »Ist es schlimm mit seinem Bein?«
    »Sehr schlimm. Die Wunde geht bis auf den Knochen, aber bis jetzt gibt es noch keine Anzeichen für die schwarze Krankheit.«
    »Das ist gut.« Er zögerte. »War er… sehr wütend auf dich?«
    »Ja. Aber deshalb bin ich nicht gekommen.«
    »Weshalb dann?«
    »Wegen morgen. Ich begleite dich.«
    Torak biss sich auf die Lippe. »Ich glaube, nur Wolf und ich dürfen zum Berg gehen.«
    Sie sah ihn groß an. »Wieso denn das?«
    »Ich weiß nicht, ich spüre es einfach.«
    »Das ist Unsinn.«
    »Vielleicht. Aber so ist es nun mal.«
    »Du klingst wie Fin-Kedinn.«
    »Das ist der zweite Grund. Er würde es dir niemals erlauben.«
    »Hat mich das schon mal von irgendwas abgehalten?«
    Torak grinste.
    Sie erwiderte das Grinsen nicht. Mit düsterer Miene trat sie ans Feuer vor dem Hütteneingang. »Du sollst das Nachtmahl mit ihm einnehmen«, verkündete sie. »Das ist eine Ehre, falls du das nicht weißt.«
    Torak schluckte. Er fürchtete sich vor Fin-Kedinn, andererseits lag ihm aber auch etwas an der Anerkennung des Anführers. Die Vorstellung, mit ihm das Nachtmahl einzunehmen, schüchterte ihn ein. »Bist du auch dabei?«
    »Nein.«
    »Aha.«
    Wieder Schweigen. Dann gab sie nach: »Wenn du willst, kümmere ich mich so lange um Wolf. Wir lassen ihn lieber nicht bei den Hunden.«
    »Danke.«
    Sie nickte. Dann fiel ihr Blick auf seine bloßen Füße. »Mal sehen, ob ich für dich Stiefel auftreiben kann.«

    Bald darauf machte sich Torak auf den Weg zu Fin-Kedinns Hütte. Er stolperte in den geliehenen Stiefeln, die ihm viel zu groß waren.
    Der Anführer der Raben war mitten in einer erregten Auseinandersetzung mit Saeunn, doch die beiden verstummten sofort, als Torak hereinkam. Saeunn sah aufgebracht aus, Fin-Kedinns Gesicht verriet wie immer nichts.
    Torak ließ sich auf einem Rentierfell nieder und schlug die Beine unter. Er sah nirgends etwas zu essen, doch am Langfeuer hantierten mehrere Leute geschäftig mit Kochledern. Er überlegte, wie lange das Essen wohl noch auf sich warten ließe und was er hier eigentlich

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