Chronik der dunklen Wälder - Wolfsbruder: Band 1 (German Edition)
von der Stelle rühren. Er wollte wegrennen, den Pfad bis zum Überhang hinauflaufen, wie er es sich vorgenommen hatte … aber es ging nicht. Der Dämon raubte ihm alle Willenskraft, zog ihn in die Tiefe …
Wolf knurrte.
Torak riss sich los und wankte weiter. Dem Bären in die Augen zu blicken, war, als blickte man in die Sonne. Die grün gesäumten Pupillen hatten sich ihm tief eingebrannt.
Von dort, wo der Bär sich mit den Klauen an der Felswand emporzog, hallte das Brechen von Eis herauf. Torak malte sich aus, wie das schwere Tier mit tödlicher Behändigkeit die Schlucht emporkletterte. Er musste den Überhang erreichen, sonst war alles vergebens.
Wolf trabte bergauf. Torak rutschte aus und fiel auf ein Knie. Rappelte sich wieder hoch. Spähte den Abhang hinunter. Der Bär hatte schon gut ein Drittel des Weges zurückgelegt.
Torak lief weiter. Erreichte den Überhang und taumelte keuchend in die Felsmulde. Jetzt musste er seinen Plan zu Ende führen, jetzt war der Augenblick gekommen, den Geist um Hilfe zu bitten.
Mühsam richtete er sich auf, holte tief Luft, legte den Kopf in den Nacken und heulte .
Wolf stimmte ein und ihre schrillen Rufe erfüllten die Schlucht, wurden von den Felswänden zurückgeworfen, hallten durchs Gebirge. Weltgeist , heulte Torak, ich bringe dir die Nanuak! Erhöre mich! Schenk mir deine Kraft, um den Dämon aus dem Großen Wald zu vernichten!
Er hörte den Bären immer näher kommen … hörte Eisbrocken in die Klamm prasseln.
Unablässig heulte er, bis ihn die Rippen schmerzten. Weltgeist, erhöre meine Bitte…
Nichts geschah.
Torak verstummte. Entsetzen packte ihn. Der Weltgeist hatte sein Flehen nicht erhört. Der Bär kam ihn holen …
Da merkte er, dass auch Wolf nicht mehr heulte.
Schau hinter dich, Torak .
Er drehte sich um und sah Hords Axt auf sich niedersausen.
Kapitel 32
TORAK SPRANG zur Seite und die Axt fauchte an seinem Ohr vorbei und bohrte sich dort, wo er eben noch gestanden hatte, ins splitternde Eis.
Hord riss sie wieder heraus. »Gib mir die Nanuak!«, schrie er. »Ich muss sie dem Berg bringen!«
»Verschwinde!«
Das Eis am Rand der Klamm knirschte laut. Der Bär musste fast oben sein.
Hords ausgezehrtes Gesicht verzerrte sich vor Schmerzen. Torak konnte sich kaum vorstellen, wie er es geschafft hatte, ihm und Wolf durch den von dem Dämon heimgesuchten Wald zu folgen, dem Zorn des Geistes die Stirn zu bieten und den Pfad emporzuklettern.
» Gib mir die Nanuak! «, wiederholte Hord.
Wolf schob sich an ihn heran, von Kopf bis Schwanz ein einziges Knurren. Er war kein Welpe mehr, er war ein entschlossener junger Wolf, der seinen Rudelgefährten verteidigte.
Hord beachtete ihn überhaupt nicht. »Dann hole ich sie mir eben! Es ist alles meine Schuld! Deshalb muss ich dem Ganzen auch ein Ende machen!«
Plötzlich wurde Torak alles klar. »Du also! Du warst dabei, als der Bär erschaffen wurde. Du warst damals beim Rotwildclan zu Gast. Du hast dem verkrüppelten Seelenesser geholfen, den Dämon zu fangen.«
»Ich wusste nicht, was er vorhatte!«, protestierte Hord. »Er hat gesagt, er braucht einen Bären … Da hab ich ihm ein Bärenjunges gebracht. Ich hatte ja keine Ahnung, was er damit wollte!«
Dann geschah alles gleichzeitig. Hord hieb mit der Axt nach Toraks Kehle, Torak duckte sich, Wolf sprang Hord an und grub die Zähne in sein Handgelenk, Hord schrie auf und ließ die Axt fallen, drosch aber mit der freien Faust auf Wolfs ungeschützten Kopf ein.
»Nein!«, gellte Torak, zog sein Messer und stürzte sich seinerseits auf Hord. Hord packte Wolf am Nackenfell und schleuderte ihn an die Basaltwand, wirbelte dann herum und griff nach der Nanuak an Toraks Hals.
Torak wich zurück. Hord packte seine Beine und warf ihn rücklings aufs Eis. Noch im Fallen riss sich Torak den Beutel vom Hals und schleuderte ihn auf den Pfad, dorthin wo ihn Hord nicht erreichen konnte. Wolf schüttelte sich, kam wieder zu sich, machte einen großen Satz und schnappte sich den Beutel im Flug, kam dabei aber dem Abgrund gefährlich nah.
»Wolf!«, schrie Torak und wand sich unter Hord, der rittlings auf seiner Brust saß und auf seinen Armen kniete.
Wolfs scharrte verzweifelt mit den Hinterpfoten. Dicht unter ihm erscholl ein drohendes Knurren – dann teilte eine Bärenklaue die Luft, verfehlte Wolfs Pfoten nur knapp …
Mit letzter Anstrengung zog sich Wolf hoch und stand wieder auf allen vieren. Und dann beschloss er zum allerersten Mal,
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