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Chronik der Nähe

Chronik der Nähe

Titel: Chronik der Nähe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annette Pehnt
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Krippe und einen ordentlichen Baum, und vor allem solltest du mit den
Kindern backen, das vergessen sie dir nie.
    â€“ Du hast ja auch mit mir nicht gebacken, sagtest du mutig, es ist
nicht so, dass du alles schluckst, aber sie hatte gewaltige Antworten zur Hand,
gegen die man wenig ausrichten konnte.
    â€“ Natürlich habe ich mit dir nicht gebacken, vielleicht hast du
vergessen, was für eine Zeit es war, Kriegszeit, Nachkriegszeit, ja.
    â€“ Aber für andere hast du doch gebacken nach dem Krieg.
    â€“ Kriegszeit, wie willst du denn da backen, wir hatten noch nicht
mal Butter, hast du schon mal Weihnachtsplätzchen aus Maschinenöl gebacken.
    Nein, hattest du nicht und hatte auch die Oma nicht, das war es ja
eben, sie hatte, sagte sie, jahrelang nicht das backen können, was sie wollte,
nicht für sich natürlich, sondern für Annie, also durfte sie wohl jetzt
verdammt noch mal backen, was das Zeug hielt, nicht für sich natürlich, sondern
für uns.
    Der Weihnachtsbaum der Oma war der größtmögliche, stieß an die
niedrige Decke ihrer Wohnung und links und rechts an die Wände, und darunter
breitete sich eine unendliche Krippe aus, handgenäht, bestickt, gehäkelt, die
Schäfchen aus Bienenwachs geformt, die Hirten trugen kleine Körbe mit
Schafwolle und Laternen, die Könige perlenbesetzte Umhänge, ein Ziehbrunnen, in
den man echtes Wasser füllen konnte, Schilf aus Strohhalmen, Steine als Felsen,
es dauerte Stunden, diese Krippe aufzubauen und noch länger, sie nach
Weihnachten wieder einzulagern. So, sagte die Oma, müsse eine richtige Krippe aussehen,
und wir waren das Publikum. Den Sand holte die Oma aus dem Stadtpark, in einer
Plastiktüte, und siebte ihn in der Küche mit dem Puderzuckersiebchen durch.
    â€“ Bevor ich sterbe, sagte die Oma, und schon jetzt wussten wir, dass
sie uns drohte, bevor ich nicht mehr da bin, schenke ich euch allen genau so
eine Krippe, jedem eine, und sie schaute in die Runde, ob wir uns freuten. Wenn
du dann selber Kinder hast, sagte sie zu mir, könnt ihr richtig
Weihnachten feiern.
    Gnadenlos backte die Oma jede Blechdose voll Vanillekipferl,
Zimtsterne, Zuckerkringel, was das Zeug hält, das Haus dampfte vor Wärme und
Plätzchenduft, ein Blech nach dem anderen.
    â€“ Na, und wer soll das alles essen.
    â€“ Wenn du anständige Blechdosen hättest, könntest du alles
aufbewahren bis Ostern. Helfen tut mir ja keiner, man merkt, dass die Kinder
nicht damit aufgewachsen sind.
    â€“ Dafür sind sie auch mit vielem anderen nicht aufgewachsen. Besser
schlechte Weihnachten als Krieg.
    â€“ Den Krieg hast du ja gar nicht kennengelernt, sagte die Oma und
atmete tief durch, dies war ihr Gebiet, ihr Krieg, du warst ja ein Kind, sagte
die Oma, Kinder kriegen das gar nicht mit.
    Nun konntest du alles aufzählen, was du mitbekommen hattest, wohl
oder übel, oder du konntest schweigen. Wir kneteten den Teig und warteten ab,
was du tun würdest, bis du schweigend aus der Küche gingst. Dann half ich bei
den Kipferln und auch noch bei den Kringeln, aber bald war mir zu heiß und übel
von dem Teig, dem schweren Buttergeruch und der fülligen Gegenwart der Oma und
dem ständigen Jubel bei jedem neuen Backblech, und ich schlich mich nach
draußen.
    Auch du schlichst dich nach draußen, noch schmaler als sonst, als ob
die Oma deine Pfunde in ihren Plätzchenteig einrollte, und rauchtest eine. In
die Ecke neben der Garage geschmiegt, hastiger als sonst, weil es leichter war,
wenn die Oma dich nicht dabei erwischte, was sie aber doch tat jedes Mal, sie
roch es durch die Butterschwaden hindurch, schoss aus der Küche und hatte dich
schon erwischt, und ich stimmte sogar mit ein in die Verwarnungen: alle gegen
dich.
    â€“ Meine Güte, Anne, warum rauchst du schon wieder, du hast doch
gerade, du weißt doch ganz genau, was dann passiert, du wirst sterben, und
willst du dem Kind das antun.
    Wir starrten dich vorwurfsvoll an.
    â€“ Und, willst du das etwa.
    Einmal war ich bei Oma, als du in die Klinik musstest, und Papa
zu besorgt, um sich um mich zu kümmern, sagte Oma, und kochen kann er ja auch
nicht, der Arme, wir Frauen halten eben alles zusammen, und sie zwinkerte mir
zu. Dann erklärte sie mir, wie der Hase lief. Mit Weihnachten fing es an: Sie
zeigte mir die Krippe, die in zwei großen Pappkisten im hinteren Schrank auf
mich wartete, bis ich groß war und selbst ein

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