Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Chronik der Nähe

Chronik der Nähe

Titel: Chronik der Nähe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annette Pehnt
Vom Netzwerk:
gar nicht nach. Die
Spielregel ist, dass wir aneinandergelehnt hier stehen und vielleicht noch
einen Wein trinken und dann schlafen gehen.
    â€“ Was hast du gesagt.
    â€“ Glucke.
    â€“ Was.
    â€“ Du bist eine Glucke, du machst dich breit im Nest, wie soll das
Kind atmen.
    â€“ Was. Das habe ich nicht gehört. Gute Nacht, Mama, schlaf gut.
    Promovieren: Natürlich wollte ich promovieren, meine schärfste
Waffe ist die Klugheit. Immer schon in der Schule die Klügste gewesen, damals
gut versteckt. Denn Klugheit macht Ärger: bloß nicht zu klug sein. Die anderen
mögen das nicht, sogar schlimmer: Die anderen sind angewidert von zu viel
Klugheit, weil das gute Noten geben kann, weil die Klugen besser dastehen als
die Dummen, also: gut verstecken, alles abgeben, den anderen helfen, nicht viel
sagen, aber doch im richtigen Moment den Lehrern einen Blick zuwerfen, eine
kluge Frage stellen, Fragen stellen ist überhaupt gut, deswegen: unbedingt promovieren.
    Ja, das fandest du gut, das wäre sicher sinnvoll, nicht nur die
poplige Fachschule, mehr konntest du dir eben nicht leisten, kein Geld von Oma,
im Gegenteil Geld für Oma, immer Geld für Oma, die es dann wieder
verschleuderte mit ihren verrückten Manövern, aber wir konnten es, Papa konnte
es, und schließlich verdientest du auch etwas, und Geld ist ja auch gar nicht
wichtig, promovieren, das heißt doch, die kluge Tochter kann später etwas
Kluges arbeiten und ist angesehen nicht da, wo es egal ist, wo das Geld ist,
sondern da, wo es darauf ankommt, bei den Klugen eben, denen, die sprechen
können, die Sprachen können, die sich in der Welt bewegen können.
    Zum Promovieren gehört, sich in der Welt zu bewegen, kluges
fahrendes Volk. Ich ließ immer wieder alles zurück: die Männer, die WG s, die Städte, die ich bisher kannte, Abschiede, bei
denen ich bitterlich heulte.
    Abschiede kannst du gut, indem du sie umgehst, einmal noch rasch in
den Arm, aber nicht hinterherwinken, das gibt Tränen, auf jeden Fall bei mir.
Jede Menge Tränen, trotzdem drehe ich mich immer wieder um, dreimal, viermal,
ob du nicht doch noch in der Tür stehst und winkst. Ich bin sogar schon
umgedreht, zurück zur Tür, noch mal geklingelt, noch mal rasch in den Arm, noch
mal Luft geholt, ich hab dich lieb und es auch gemeint und es mehr gemeint als
sonst, weil es eben doch stimmt, jetzt, wo ich gehe, hilft mir der Abschied in
die Liebe zurück. Ich sage es dir, bin vom Abschied befreit, es zu sagen, also
gleich noch mal. Ich sage es so oft, bis du es auch sagst und lachend abwehrst
und die Hände hebst in hilflos gespielter Überwältigung, und jetzt will ich
hinein in die Endlosschleife der Liebe: Ich kann es sagen und kann es spüren,
weil ich gleich gehen muss, aber kann nicht gehen, weil ich es sage und spüre,
wie könnte ich da gehen.
    Ich bleibe einfach da, in der Endlosschleife zusammen mit dir, wenn
ich nicht gehe, gehst du auch nicht. Geh nicht.
    â€“ Gehst du auch nicht weg.
    Wenn ihr doch ausgingt, durfte ich aufbleiben und fernsehen, aber
nichts Unheimliches, Dalli Dalli, und knabberte Möhren, erst außen herum, bis
in der Mitte nur noch ein süßer Ast blieb, den zum Schluss.
    Alles im Lot: Du kamst ja bald wieder, lachend mit Papa, der Koffer
stand ja auch noch im Keller, ohne Koffer würdest du nicht aufbrechen, würdest
dich nie heimlich davonschleichen, wieso dachte ich das.
    Dann war ich dran mit Weggehen. Ich könnte doch bleiben, aber
promovieren heißt, sich in der Welt bewegen, mein Rucksack war so schwer, dass
ich fast in die Knie ging, ich hätte ja weniger einpacken können, Bücher und
Zahnbürsten kann man auch dort kaufen, wo ich hinfuhr.
    Meine schärfste Waffe die Klugheit: auch gegen dich eingesetzt, wie
alles, was ich habe und kann. Ein gemeinsamer Abend, ins Theater, ich hatte
schon vorher alles darüber gelesen und wusste Bescheid. Ich wusste so dermaßen
Bescheid, dass ich glühte vor lauter Bescheidwissen: Wehe, jemand war weniger
klug als ich, dem würde ich es zeigen, ich hatte auch meine Waffen, vielleicht
nicht so hübsch wie andere, vielleicht nicht so cool, aber etwas zu sagen hatte
ich, und zwar mehr und besser als andere und ganz sicher als du.
    Und nun kam mein Moment, ich wartete nicht darauf, sondern führte
ihn herbei in der Straßenbahn.
    â€“ Weißt du denn, von wem das Stück heute Abend ist.
    â€“ Nein, von

Weitere Kostenlose Bücher