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Chronik der Nähe

Chronik der Nähe

Titel: Chronik der Nähe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annette Pehnt
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das
von deiner Mutter zurück und sage ihr, dass du die Beine breit machst für
jeden.«
    Sie gibt Annie einen kleinen Stoß und rauscht davon. Annie atmet durch
und dreht sich um, ob jemand sie beobachtet hat. Dann zieht sie eine Zigarette
aus der Tasche, zündet sie an und raucht sie genau dort, wo sie steht, mitten
auf dem Bürgersteig, zu Ehren des Onkels, der ihr zum Geburtstag die allererste
Zigarette geschenkt hat.
    Das Kind kann jetzt sprechen, und du sprichst mit ihm. Wenn
du da bist, sprichst du mit ihm. Du kommst am liebsten zu Besuch, wenn der
Richtige verreist ist, dann sind wir für uns, nur wir Frauen. Das Kind erklärt
dir alles und zeigt dir winzige Dinge, Risse im Pflaster, Haselnussschalen im
Gras, eine verrostete Wäscheklammer, die von der Leine gefallen ist, und du
gehst neben ihm, langsam und mit dem neuen Schlurfen, das du dir angewöhnt
hast, das gar nicht nötig wäre, denn du trägst doch gute Schuhe. Dazu gehört
auch, dass du die Schultern etwas nach vorne fallen lässt.
    â€“ Mama, nicht schlurfen, warum gehst du denn so nach vorne gebeugt.
    â€“ Ach, lass mich doch, sagst du, muss ich mich denn immer gerade
halten.
    â€“ Gerade nicht, aber dieses Schlurfen, das macht dich alt.
    Da kommt das Kind mit einem neuen Fund, gut, dass es stört zur
rechten Zeit, wir kommen nicht dazu, das Gefecht aufzunehmen. Es fragt, es
schaut dich an, und du redest mit ihm. Nun könnte ich sogar weggehen, ein oder
zwei Stunden, du kannst ja mit ihm sprechen, ihm etwas vorlesen, ihm ein Buch
zeigen.
    â€“ Ist es nicht schön mit dem Kind, mit deinem Enkelkind.
    â€“ Hast du gehört, wie es die Wörter ausspricht, manchmal denkt es,
zwei Wörter wären eins.
    Wir lachen stolz zusammen über die neue Sprache des Kindes, und wenn
du ihm vorliest, drückt es sich an dich, und du legst ihm keinen Arm um die
Schultern, weil du das Buch mit beiden Händen festhalten musst.
    Nur als ich das Kind abends zu Bett bringe und mit ihm singe und
noch bei ihm liege und es noch etwas trinken will und noch mal etwas, und
vergessen, die Haare zu kämmen, und noch mal eine frische Windel, und das
Kuscheltier ist hinter das Bett gerutscht, und dann wieder einrollen
beieinander, das dauert: Als ich zurückkomme in die Küche, ist etwas passiert.
Du schaust an mir vorbei mit einem angewiderten Lächeln nach draußen, wo es
außer der struppigen Birke nicht viel zu sehen gibt, und schweigst.
    â€“ Willst du etwas trinken, ein Glas Wein vielleicht oder Wasser,
oder sollen wir Nachrichten schauen.
    Ich sage es falsch, ich müsste dich fragen, was mit dir los ist, und
müsste fragen, ob es wegen des Kindes ist und weil ich so lange bei ihm gelegen
habe und weil du früher nicht so lange bei mir gelegen hast und weil bei dir
früher niemand gelegen hat und weil du allein im Keller gelegen hast, aber den
Gefallen muss ich dir nicht tun. Wir können auch schweigend in der Küche sitzen
und Leitungswasser trinken, oder ich gehe gleich wieder zum Kind und lege mich
zu ihm, ich kann gut bei ihm einschlafen, und dass du wollen könntest, dass ich
mich zu dir lege, damit du einschlafen kannst, das kommt mir gar nicht in den
Sinn.
    Mal sehen, wie lange wir noch umeinander herumschweigen, ich stehe
zwischendurch auf und schaue noch einmal nach dem Kind, als ich wieder in die
Küche komme, ist die Abscheu in deinem Gesicht noch tiefer geworden, mit Worten
komme ich ihr nicht bei, ich muss dich umarmen, von hinten deine gegen die
Stuhllehne gepressten Schultern fassen, dir mit der Hand in den harten Nacken
packen.
    â€“ Komm, Mama, was ist denn.
    Gleich kann ich es, ich schenke mir nun doch einen Wein ein und dir
auch, aber du wirst ihn erst berühren, wenn ich es getan habe, nur noch ein,
zwei Minuten, dann bin ich so weit, trinke das Glas aus, rauche eine, meine
Abendzigarette, immer erst wenn das Kind schläft und heute erst recht, und
jetzt kann ich hinter dich treten und auf deine sorgfältig geschnittenen Haare
herunterschauen, die von oben aussehen wie ein Käppchen, und kann dir beide
Hände auf die Arme legen.
    â€“ Komm, Mama, was ist denn.
    Und kann die Luft hören, die aus dir herausstößt, als hättest du sie
angehalten all die Stunden, und wie du den Kopf etwas nach hinten lehnst, bis
du an meinen Bauch stößt und dich dort anlehnst, und wie du ganz leise etwas
murmelst, das gegen die Spielregeln ist, ich frage besser

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