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Chronik der Unsterblichen - 12 - Der schwarze Tod

Titel: Chronik der Unsterblichen - 12 - Der schwarze Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wlofgang Hohlbein
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wohl über Jahre hinweg geübten einschüchternden Blick musterte. Andrej hätte ihm mühelos standhalten können, zog es aber vor, das stumme Duell nach nur ein paar Sekunden vermeintlich aufzugeben und dem wortlosen Winken des Burschen zu folgen.
    »Signore Delãny.« Rezzori saß hinter einem mit aufwendigen Schnitzereien verzierten Schreibtisch von beeindruckender Größe, der völlig leer war und vermutlich dem einzigen Zweck diente, seinen Besitzer noch beeindruckender wirken zu lassen. Als Andrej eintrat, stand er auf, machte aber keine Anstalten, um das Möbel herum- und auf ihn zuzukommen, sondern deutete nur mit einer knappen Geste auf einen zweiten Stuhl auf der anderen Seite des Tisches. Darüber hinaus war der Raum praktisch leer.
    »Ich muss mich bei Euch entschuldigen. Es lag nicht in meiner Absicht, Euch so lange warten zu lassen, aber an einem Tag wie heute …« Rezzori hob mit einem Seufzen die Schultern. »Ihr versteht sicher.«
    Nein, Andrej verstand nicht, aber da er wusste, dass Rezzori keine Antwort erwartete, beließ er es bei einem kurzen Nicken und nahm ohne ein weiteres Wort auf dem Stuhl Platz, den Rezzori ihm bedeutet hatte. Er sah deutlich unbequemer aus als der gepolsterte Sessel, auf den sich Rezzori nun wieder sinken ließ, und war auch niedriger – ein wirklich erbärmlicher Trick, um jedem, der hier saß, das Gefühl zu geben, wortwörtlich auf einem Arme-Sünder-Stuhl gelandet zu sein. Andrej nahm an, dass nahezu jeder dieses Vorhaben durchschaute – und es trotzdem bei den allermeisten seinen Zweck erfüllte.
    Erwartungsvoll sah er Rezzori an. Rezzori starrte zwar ausdruckslos zurück, aber Andrej spürte doch die Erregung, die sich hinter dieser Maske verbarg. Rezzori war aus irgendeinem Grund zutiefst verärgert.
    »Wo ist Abu Dun?«, fragte Andrej, als er schließlich einsah, dass Rezzori das Schweigen nicht von sich aus brechen würde.
    »Ich lasse Euren Begleiter gleich holen, Andrej«, antwortete Rezzori. Unwillkürlich fragte sich Andrej, ob der Wechsel zu dieser vertrauteren Anrede Zufall war oder etwas zu bedeuten hatte – und wenn ja, was. »Aber ich würde es vorziehen, zuerst mit Euch allein zu sprechen. Falls es Euch nichts ausmacht.«
    Das kam ganz auf die Fragen an, die er ihm stellen wollte. Andrej schüttelte den Kopf. »Natürlich nicht.«
    Rezzori sah überrascht aus. Er nickte dem Mann, der Andrej hereingebracht hatte, wortlos zu, woraufhin dieser genauso wortlos den Raum verließ. »Ihr seid also seit einer Woche in Venedig«, begann Rezzori. Er legte beide Hände flach nebeneinander auf die polierte Tischplatte. »Warum?«
    Spätestens jetzt war aus einer Unterhaltung ein Verhör geworden, doch Andrej beschloss, gute Miene zum bösen Spiel zu machen. Wenigstens am Anfang. »Wisst Ihr das nicht längst?«, fragte er trotzdem.
    Vielleicht war er damit schon einen Schritt zu weit gegangen, denn nun blitzte Ärger in Rezzoris Augen auf, wenn auch nur für einen Moment, dann hatte er sich wieder unter Kontrolle. »Möglicherweise«, sagte er.
    »Aber Ihr möchtet herausfinden, ob das, was Ihr gehört habt, mit dem übereinstimmt, was ich Euch möglicherweise erzähle«, sagte Andrej langsam.
    Als Rezzori ihn nur anstarrte, fuhr Andrej fort: »Ich habe meinen Sohn gesucht.«
    »Und in Doktor Scalsis Spital gefunden.« Rezzori klang ungeduldig. »Ich habe davon gehört und auch, in welch bedauernswertem Zustand Ihr ihn angetroffen habt. Das tut mir aufrichtig leid. Aber Ihr seid nicht nur seinetwegen hier, nehme ich an?«
    »Nicht nur«, sagte Andrej zögernd. »Ihr habt mit dem Dottore gesprochen?«
    »Er hat mir von Euren drei Freundinnen erzählt, ja.«
    Endlich begann Andrej zu verstehen, worauf er hinauswollte. »Und jetzt habt Ihr mit Gina und ihrer Familie gesprochen und glaubt, die drei Frauen hätten etwas mit dem Tod ihres Mannes zu tun?«
    »Haben sie?«, fragte Rezzori.
    »Glaubt Ihr denn etwa dieser bedauernswerten Frau?«
    »Nein, das tue ich nicht. Aber er war nicht der einzige«, sagte Rezzori.
    »Der einzige was?«
    Rezzoris Blick wurde lauernd.
    »Der einzige Tote, Andrej«, sagte er. »Auch wenn es bis jetzt nur Gerüchte sind.«
    »Was für Gerüchte?«
    »Die Leute reden«, antwortete Rezzori. Sein Blick ließ Andrej nicht los. Er tat so, als rede er einfach drauflos, aber in Wahrheit wartete er darauf, dass Andrej sich verriet. »Ihr wisst, wie das ist.«
    »Weiß ich das?«
    »Es sollte mich wundern, wenn nicht«, erwiderte Rezzori. »Wenn

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