Chronik der Unsterblichen - 12 - Der schwarze Tod
durch die Schulter seines Angreifers grub, doch im gleichen Sekundenbruchteil zerfetzten die schartigen Fingernägel des Wahnsinnigen auch schon seine Kehle. Noch bevor der unglückselige Mann zusammenbrach und unter qualvollen Zuckungen starb, hatte Andrej die Gestalt erreicht und riss sie zurück.
Wenigstens versuchte er es.
Der Mann war unglaublich stark. Als Andrej ihn herumzerrte und zu Boden schleudern wollte, traf ihn dessen Handrücken so hart im Gesicht, dass Andrej zurückstolperte und um sein Gleichgewicht kämpfen musste. Ganz instinktiv griff er nach dem Schwert, das noch in der Schulter des Wahnsinnigen steckte, und wurde mit einem unmenschlich schrillen Heulen belohnt. Mit einem hellen Knacken brach die Klinge des Rapiers. Alles ging so unglaublich schnell, dass jegliche Bewegung und Geräusche zu einer einzigen Sekunde puren Entsetzens zu verschmelzen schienen. Und sie fand kein Ende.
Etwas knallte. Nur einen Fingerbreit unter dem abgebrochenen Degen, der aus der Schulter der grässlichen Kreatur ragte, explodierte eine winzige Wolke aus Blut und rotem Rauch. Die Wucht der Kugel reichte noch, Andrej wie von einem Fausthieb getroffen zurückstolpern zu lassen, selbst nachdem sie den ausgemergelten Körper des Wahnsinnigen durchschlagen hatte.
Der Angreifer taumelte nicht. Er stieß lediglich ein Heulen aus, so laut und schrill, als würde es keiner menschlichen Kehle entstammen, fuhr abermals herum und hob mit einem neuerlichen Heulen die Arme, die skelettdürren Hände mit den tödlichen Fingernägeln zu Krallen geformt, von denen noch das Blut seines letzten Opfers tropfte.
Andrej sprang ihn an, und diesmal war er auf die übermenschliche Kraft des Wahnsinnigen vorbereitet. Er packte ihn einfach, riss ihn an beiden Armen hoch und schleuderte ihn dann gegen die Wand. Das schrille Heulen wurde zu einem schmerzerfüllten Keuchen, mit dem die Luft aus seinen geschundenen Lungen entwich, als sie von seinen gebrochenen Rippen durchbohrt wurden. Er sackte zu Boden und hinterließ eine glitzernde, schmierig-rote Spur auf der kostbaren Seidenbespannung der Wände.
Sofort begann er, sich wieder in die Höhe zu stemmen.
Andrej war zu perplex, um schnell genug zu reagieren. Eine kostbare Sekunde lang stand er nur da und starrte das unglaubliche Bild an, und wahrscheinlich war es genau dieser eine Atemzug, der auch noch einem dritten von Rezzoris Signori das Leben kostete, denn zwei der Bewaffneten waren leichtsinnig genug, durch die Tür zu stürzen und den vermeintlich Wehrlosen ergreifen zu wollen.
Dass er alles andere als wehrlos war, begriffen sie erst, als es zu spät war.
Die kaum noch menschliche Gestalt stieß ein durchdringendes und sonderbar zwitscherndes Heulen aus. Ihr rechtes Bein stand in so falschem Winkel ab, als wäre das Gelenk plötzlich in die entgegengesetzte Richtung gedreht worden, der Kopf pendelte haltlos hin und her.
Nichtsdestotrotz riss sie ihren linken Arm los und rammte einem der Männer die gespreizten Mittel- und Zeigefinger mit solcher Gewalt in die Augen, dass dieser einen halben Schritt zurücktaumelte und dann wie vom Blitz getroffen tot zu Boden fiel.
Der zweite Signori erstarrte in schierem Entsetzen und hätte vermutlich im nächsten Moment ebenso sein Leben ausgehaucht, hätte sich Andrej nicht endlich aus seiner Erstarrung gelöst. Mit einem einzigen Schritt war er bei der Kreatur, riss sie in die Höhe und an sich heran und brach ihr mit einem zornigen Ruck das Genick.
Trotzdem bäumte sich das Wesen (es gelang Andrej nicht, von ihm weiter als Mensch zu denken) noch einmal in seinem Griff auf, erschlaffte dann endlich, und was immer auch Lebensähnliches in seinen Augen gewesen sein mochte, flackerte noch einmal wütend auf und erlosch.
Andrej ließ los. Der Körper fiel leblos und wie der sprichwörtliche nasse Sack zu Boden, rollte zur Seite und entleerte im Sterben auch noch seine Blase, wie der stechende Geruch bewies.
Andrej prallte angeekelt einen Schritt zurück und wäre gerne noch weiter zurückgewichen, hätte sich da nicht etwas Hartes und sehr Spitzes in seinen Rücken gebohrt.
»Keine Bewegung, Signore Delãny«, sagte Rezzori. »Wenn Ihr Euch auch nur rührt, seid Ihr tot.«
Andrej bezweifelte das, hob aber trotzdem gehorsam die Hände auf Schulterhöhe und machte – vorsichtig – einen Schritt zur Seite. Die stählerne Spitze folgte seiner Bewegung, bohrte sich aber wenigstens nicht tiefer zwischen seine
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