Chronik der Unsterblichen - 12 - Der schwarze Tod
die, die noch am Leben sind.«
Rezzori nahm die Spitze hin, ohne mit der Wimper zu zucken, antwortete aber nun auch kühler. »Ich werde mit dem Dottore reden, Contessa, aber ich kann nicht erlauben, dass Ihr Euch in Gefahr begebt. Und was Signore Delãny angeht, so muss ich darauf bestehen, ihn zumindest einstweilen in Gewahrsam zu nehmen.«
Andrej drehte sich fast gelassen zur Seite, nahm dem Mann hinter sich den Degen aus der Hand und brach ihn ohne sichtbare Anstrengung entzwei. Der Soldat schnappte nach Luft und riss erschrocken die Augen auf, als Andrej ihm die beiden Hälften zurückgab und sich dann zu Rezzori wandte, um dessen Pistole zu mustern, als überlege er, damit dasselbe zu tun. Was der Wahrheit auch ziemlich nahe kam.
»Andrej!« Corinna hob nicht nur besänftigend die Hand, sondern trat vorsichtshalber auch mit einem schnellen Schritt zwischen Rezzori und ihn. »Bitte!«
»Contessa, ich muss darauf bestehen –«, begann Rezzori, nur um auch jetzt wieder unterbrochen zu werden.
»Ihr habt Andrejs Wort, dass er mit Euch kommen und alle Eure Fragen beantworten wird. Aber ich gehe jetzt zu Scalsi und frage ihn, was geschehen ist, und ich möchte, dass er mich begleitet. Oder seid Ihr bereit, persönlich für meine Sicherheit zu garantieren, Signore?«
Rezzori sah zuerst sie an, dann den Leichnam des Wahnsinnigen und schließlich das zerbrochene Rapier, das der verblüffte Soldat noch immer in den Händen hielt. »Ich habe Euer Wort als Ehrenmann, Signore Delãny?«, wandte er sich schließlich an Andrej.
Worauf auch immer. Andrej nickte.
Kapitel 20
Als sie das Arsenal erreichten und aus den Booten stiegen, bestand Rezzoris Armee immerhin noch aus acht Mann – ihn selbst nicht mitgerechnet –, denn er hatte Corinnas Palazzo tatsächlich umstellen lassen. Andrej hatte kein Wort darüber verloren, so wenig wie Corinna, aber er hatte ihr angesehen, dass sie diesen Umstand sehr wohl zur Kenntnis genommen hatte und das letzte Wort darüber noch nicht gesprochen war.
Venedig hatte sich verändert. Was ihm schon am Morgen und auf dem Weg zu Corinnas Palazzo aufgefallen war, registrierte er nun umso deutlicher: Die gesamte Stadt vibrierte vor Erregung. Überall wurde gehastet und gearbeitet, Dinge wurden hin- und hergetragen, Boote be- und entladen – die letzten Vorbereitungen für den ersten Abend des Carnevale. Die Vorfreude war zu spüren, eine kribbelnde Energie, die nicht einmal vor der einschüchternden Präsenz der Signori haltmachte.
Die Fahrt zum Arsenal verlief schweigend. Rezzori hatte einen seiner Männer zurückgelassen, der sich um die Toten kümmern sollte. Corinna hatte darauf bestanden, ihren grauhaarigen Leibwächter mitzunehmen – was Andrej wenig begeisterte. Schon Corinna bei dieser Unternehmung mitzunehmen ging ihm gegen den Strich, da wollte er nicht noch auf ihren Aufpasser aufpassen müssen.
Doch hatte er sich – wohlweislich – den Atem gespart, Corinna von ihrem Entschluss abbringen zu wollen.
Die Boote fuhren so nah an die Turmruine an der Kaimauer heran, dass eine einzige heftigere Welle ausgereicht hätte, sie gegen den harten Stein zu schmettern, an dem die Ruder jetzt nur entlangkratzten. Auf dem letzten Stück wurden sie langsamer, und Andrej fragte sich, ob es wirklich Zufall war, dass sie dasselbe winzige Bootshaus ansteuerten, in dem er Abu Dun aus dem Wasser gezogen hatte. Rezzori bedachte ihn jedenfalls mit einem stummen Blick, der zumindest Zweifel daran aufkommen ließ.
Andrej aber trat mit einem so raschen Schritt aus dem Boot, dass Rezzori erst zum Protest ansetzte, als er schon längst auf sicherem Boden stand und die Hälfte seiner Männer damit beschäftigt war, das heftige Schaukeln des Bootes auszugleichen.
Rezzori beließ es denn auch lediglich bei einem zornigen Blick, den Andrej mit einem herzlichen Lächeln und einer leichten spöttischen Verbeugung beantwortete. Dann streckte er den Arm aus, um auch Corinna auf den Steg hinaufzuhelfen. In ihren Augen blitzte es belustigt auf, bevor sie mit eleganten Bewegungen alleine aus dem Boot stieg.
Andrej hatte Mühe, ein schadenfrohes Grienen zu unterdrücken, war aber zugleich auch verwirrt. Wenn er bedachte, dass sie vor weniger als einer Stunde neben ihrem toten Vater gekniet hatte, hatte sie ihre Trauer erstaunlich schnell überwunden.
»Ihr bleibt hinter mir, Contessa«, sagte Rezzori grob, als er (als Letzter) aus dem Boot stieg und seine Signori mit unwilligen Gesten herumscheuchte, um
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