Chronik der Unsterblichen - 12 - Der schwarze Tod
auffordern, mich zu begleiten, Signore Delãny.«
»Das ist ja wohl –«, begehrte Corinna auf, aber Andrej brachte sie mit einer raschen Handbewegung zum Schweigen.
»Warum?«
Rezzori dachte unübersehbar darüber nach, ob er überhaupt antworten sollte. »Warum nicht?«, sagte er schließlich. »Wenn Ihr mir hinterher etwas über Euren Freund erzählt.«
»Abu Dun? Was ist mit ihm?«
»Das frage ich Euch, Signore Delãny«, gab Rezzori lauernd zurück. »Ihr hattet mir Euer Wort gegeben, dass er keinen Fluchtversuch unternimmt.«
Ganz so war es nicht gewesen, aber Andrej verzichtete darauf, Rezzori auf dieses Detail aufmerksam zu machen, sondern bedeutete ihm nur mit einem Nicken fortzufahren.
»Er ist geflohen«, vermutete er.
»Und hat zwei meiner Männer dabei schwer verletzt«, bestätigte Rezzori. »Ein Mann, der nichts zu befürchten und ein reines Gewissen hat, tut so etwas nicht.«
»Und was hat Andrej damit zu tun?«, fragte Corinna.
»Signore Delãny«, verbesserte Rezzori betont, »ist ein Fremder in unserer Stadt. Ein Mann, in dessen Umgebung sich einige seltsame Dinge zugetragen haben. In seiner und der Umgebung seines Freundes. Und nun ist dieser Freund aus unserem Gewahrsam geflohen, unter, sagen wir, merkwürdigen Umständen. Merkwürdig genug auf jeden Fall, um ihm noch einige Fragen zu stellen.«
»Und deshalb fallt Ihr mit einer ganzen Armee in mein Haus ein?«, fragte Corinna.
Rezzori würdigte sie nicht einmal eines Blickes, und Andrej konnte sich recht gut verstellen, warum Rezzori Abu Duns Flucht, wie er sagte, »merkwürdig« fand, und auch, warum er anschließend gleich mit einem Dutzend schwer bewaffneter Männer hier angerückt war. »Ich begleite Euch gern«, sagte er.
»Das wirst du ganz bestimmt nicht tun!«, begehrte Corinna auf. »Du weißt nicht, wer die Signori sind!«
Ihre Warnung war überflüssig. Andrej hatte keineswegs vor, sich in Rezzoris Gewalt zu begeben. Doch das würde er Rezzori sicher nicht auf die Nase binden. »Es wird sich alles aufklären«, sagte er trotzdem. »Ich glaube, dass Signore Rezzori ein aufrechter Mann ist, der nur seine Pflicht tut. Wenn ich ihm dabei helfen kann, dann tue ich das gerne.« Er nickte Rezzori auffordernd zu. »Wir können gehen.«
Rezzori konnte seine Verblüffung nicht verbergen. Vielleicht war es aber auch die Enttäuschung, weil Andrej es ihm so leicht machte. Er nickte widerwillig, trat einen halben Schritt zurück und machte eine einladende Geste. Hinter ihnen erscholl ein gellender Schrei, gefolgt von dem dumpfen Krachen, mit dem eine der großen Türen aufgesprengt wurde und mit solcher Wucht gegen die Wand krachte, dass Putz und Holzsplitter flogen. Einer von Rezzoris Männern torkelte rücklings aus dem Raum, schlug die Hände vor das Gesicht und fiel dann gurgelnd nach hinten. Hellrotes Blut sprudelte zwischen seinen Fingern hervor, und hinter ihm erklang ein dumpfes Poltern. Ein neuerlicher, noch gellenderer Schrei ertönte. Er kam aus dem Zimmer, in dem sie Corinnas Vater getroffen hatten.
Andrej war nicht der Erste, der losrannte, aber der Erste, der durch die Tür stürmte.
Der Raum bot einen Anblick der Verwüstung. Ein Gutteil der Möbel war zerschlagen. Eines der großen Ölgemälde war von der Wand gerissen und der Rahmen zerbrochen und mindestens eines der kostbaren Buntglasfenster zerborsten. Unzählige Glasscherben lagen fast geometrisch angeordnet auf dem Boden verteilt, und Feuchtigkeit und eisiger Wind fauchten herein und ließen prasselnde Funkenschauer aus dem Kaminfeuer explodieren. Andrej kam gerade rechtzeitig, um den Tod eines zweiten Angehörigen der Signori mitzuerleben.
Der Mann stand einer Gestalt gegenüber, die geradezu grotesk ausgesehen hätte, wäre sie nicht zugleich so grauenhaft gewesen: ausgemergelt bis auf die Knochen, in Lumpen gekleidet und so sehr stinkend, dass man es selbst über die Distanz von einem Dutzend Schritten hinweg riechen konnte. Und Andrej kannte sie.
»Giacomo?«, flüsterte er. Erschrocken – und fassungslos – blieb er stehen, vielleicht nur für den Bruchteil eines Augenblicks, doch so unmerklich dieses Zögern auch sein mochte, es reichte, um das Schicksal des Signori zu besiegeln. Der Mann warf Andrej einen verwirrten Blick zu, und die Schreckensgestalt nutzte die winzige Ablenkung, sich mit einem schrillen Kreischen auf ihn zu stürzen.
Der Soldat riss blitzschnell sein Rapier in die Höhe, sodass sich die Klinge mit einem hörbaren Knirschen
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