Chronik der Unsterblichen - 12 - Der schwarze Tod
Schulterblätter.
»Zurück!«, befahl Rezzori. Seine Stimme schien ruhig, bebte aber unter der Oberfläche vor Anspannung. »Und rührt Euch nicht!«, fügte er noch einmal hinzu.
Andrej trat pflichtschuldig einen weiteren Schritt zur Seite, dann bedeutete Rezzori zweien seiner Männer, sich um die reglose Gestalt am Boden zu bemühen. Die beiden Toten bedachte er lediglich mit einem desinteressierten Blick, in dem allenfalls jenes Maß an professionellem Bedauern lag, das ein Handwerker einem zerbrochenen Werkzeug zollen mochte. »Ich nehme an, ein weiterer guter Freund von Euch, der normalerweise ganz harmlos ist, Signore Delãny?«, fragte er kalt.
»Ich kenne den Mann nicht«, antwortete Andrej. »Und bevor Ihr fragt, ich weiß auch nicht, warum er hier ist.«
»Und seinen Namen habt Ihr auch nur erraten«, vermutete Rezzori. Andrej sah erst jetzt, dass er eine plumpe einschüssige Pistole in der Hand hielt, deren Lauf er genau auf sein Gesicht gerichtet hatte.
»Ich habe ihn einmal gesehen«, antwortete Andrej. »Aber da war er an die Wand seiner Zelle in Doktor Scalsis Spital gekettet.«
Rezzori setzte gerade zu einer verärgerten Antwort an, als hinter ihnen ein spitzer Schrei erklang. Andrej und Rezzori fuhren gleichzeitig herum und erblickten Corinna, die neben ihrem Vater auf die Knie gefallen war.
Andrej vergaß die Schwertspitze in seinem Rücken und war mit zwei schnellen Schritten bei ihr.
Corinnas Vater lag mit weit aufgerissenen Augen auf der Seite. Auf seinen Lippen hatte sich rosafarbener Schaum gebildet, und seine Kehle war so präzise durchschnitten wie mit einem Rasiermesser.
»Corinna, ich …«, begann Andrej, brach dann aber ab und wollte sich neben ihr in die Hocke sinken lassen, doch Rezzori ließ es nicht zu. Seine Pistole grub sich unsanft in Andrejs Seite, und auch die Schwertspitze war wieder da. Behutsam richtete er sich auf und hob vorsichtshalber erneut die Hände.
»Es tut mir leid, Signorina«, sagte Rezzori kühl, aber zugleich auch ehrlich. »Ich gebe Euch mein Wort, dass wir den Schuldigen finden und seiner gerechten Strafe zuführen werden.«
Andrej starrte ihn beinahe fassungslos an, aber er sprach nicht aus, was ihm dazu auf der Zunge lag. Rezzori sagte das nicht aus Grausamkeit oder um Corinna zu verhöhnen – er glaubte wirklich, dass diese Worte sie trösten würden.
»Aber warum … warum hat er das …« Corinnas Stimme versagte. Sie streckte die Hand nach dem Gesicht ihres Vaters aus und erstarrte dann, als hielten sie unsichtbare Fesseln zurück. Tatsächlich konnte Andrej sehen, welch gewaltige Anstrengung es sie kostete, sich schließlich doch vorzubeugen und die Augen des Toten zu schließen.
»Warum hat er das getan?«, flüsterte sie noch einmal. »Er war doch harmlos. Er … er hat doch niemandem etwas zuleide getan.«
»Wer hier was getan hat, wird sich noch zeigen, Signorina«, antwortete Rezzori. »Aber zuerst werde ich Euren Freund befragen, Signore Delãny.« Die Waffe bohrte sich tiefer in Andrejs Seite. »Und dieses Mal würde ich ihm raten, die Wahrheit zu sagen.«
Andrej war versucht, die Pistole zu nehmen und sie Rezzori in eine beliebige Körperöffnung zu schieben, bevor er abdrückte, doch dann stand Corinna auf und gab ein leises, wimmerndes Seufzen von sich. Tränen liefen über ihr Gesicht, und sie war so bleich wie eine Tote. Aber ihr Gesicht war vollkommen reglos, und ihre Stimme so hart und schneidend wie geschliffener Stahl, als sie sich an Rezzori wandte.
»Reden Sie keinen Unsinn, Signore Rezzori«, sagte sie kalt. »Sie waren dabei. Sie haben gesehen, was passiert ist. Oder suchen Sie nur einen Verantwortlichen, um Ihre eigene Unfähigkeit zu verschleiern?«
Rezzoris Gesichtsfarbe begann, sich der Corinnas anzugleichen, doch er kam nicht zu Wort. »Dieser Mann ist aus Scalsis Narrenturm entflohen und hierhergekommen. Er hat vier Eurer Männer getötet und meinen Vater, und hätte Andrej ihn nicht aufgehalten, dann hätte er noch mehr von Euren Männern umgebracht, vielleicht auch mich oder Euch. Ist das Eurer Aufmerksamkeit vielleicht entgangen?«
»Signorina, ich –«, begann Rezzori, doch Corinna fiel ihm scharf ins Wort: »Andrej und ich werden jetzt zu Scalsi gehen und ihn fragen, wie dieser gefährliche Kranke aus seiner Obhut entkommen konnte, und ich hoffe für ihn, dass er eine überzeugende Antwort auf diese Frage hat. Ihr könnt uns begleiten, wenn Ihr es wünscht, Signore. Und Eure Signori auch – wenigstens
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