Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Chronik der Unsterblichen - 12 - Der schwarze Tod

Titel: Chronik der Unsterblichen - 12 - Der schwarze Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wlofgang Hohlbein
Vom Netzwerk:
wirklich überrascht, die Präsenz eines anderen Unsterblichen zu spüren, so weit entfernt, dass er sie gerade noch spürte.
    Und wenn es anders war?, dachte er verwirrt, während er ihre schlanke Gestalt betrachtete, die nahezu lautlos vor ihm durch die Dunkelheit glitt und den immer wieder auftauchenden Hindernissen so elegant und selbstverständlich auswich wie ein Fisch in bewegtem Wasser einem Stück Treibholz oder Tang. Wenn er nicht weit entfernt war, sondern nur schwach? Oder nicht suchend und lauernd, wie er sich selbst einzureden versucht hatte, sondern erst im Erwachen begriffen?
    Der Gedanke war so aberwitzig, dass er sich verbot, ihn zu Ende zu denken. Stattdessen schloss er mit zwei schnellen Schritten wieder dichter zu ihr auf und sagte mit betont sachlicher Stimme: »Vielleicht sollten wir kehrtmachen. Es sei denn, du möchtest jetzt schon herausfinden, wie es ist zu ertrinken.«
    »Ihr seid ein Hasenfuß, Signore Delãny«, spöttelte Corinna. »Aber keine Angst, Ihr seid in guten Händen. Ich passe schon auf Euch auf.«
    Andrej blieb ernst. »Du hast es selbst gesagt: Wenn wir uns verirren, sind wir in Gefahr … du bist in Gefahr«, verbesserte er sich. »Noch finde ich den Rückweg.« Wenigstens hoffte er das.
    »Wir verirren uns nicht, Signore Hasenfuß«, stichelte sie. »Bedankt Euch bei meiner Familie.« Sie blieb stehen und deutete auf einen fast mannsdicken Balken. »Genauer gesagt bei meinem Bruder. Da ist wieder eines unserer geheimen Zeichen, siehst du?«
    Nein, Andrej sah nichts, auch nicht, als er näher an die verrottete Säule herantrat und die Laterne hob. Mit der anderen Hand wischte er die dünne Schicht aus Morast und Fäulnis weg, die das Holz bedeckte, aber es bedurfte einer weiteren deutenden Geste Corinnas.
    »Das ist nur ein Kratzer«, sagte er.
    »Wenn man sofort erkennen würde, was es ist, wäre es ja kein geheimes Zeichen, oder?«, fragte Corinna schnippisch.
    Andrej sagte nichts dazu, aber er blieb bei seiner Einschätzung. Es war ein Kratzer, einer von unzähligen, den die Säule im Lauf der Jahrzehnte, vielleicht Jahrhunderte davongetragen hatte. Davon, dass er unter der Schicht aus Morast und verkrustetem Schlamm gar nicht sichtbar gewesen war, gar nicht zu reden.
    »Du hast dir das ausgedacht«, sagte er.
    »Und wenn?« Corinna lachte, und etwas in der Dunkelheit hinter ihr nahm dieses Lachen auf und warf es auf grässliche Weise verzerrt zurück. Ohne ein weiteres Wort ging sie weiter, verschwand für einen kurzen, aber schrecklichen Moment in der Schwärze. Gerade als er sie zurückrufen wollte, blieb sie wieder stehen.
    »Hier ist es«, sagte sie. »Dort, siehst du?«
    Andrej schwenkte seine Laterne, und tatsächlich sah er einen weiteren halbhohen Durchgang, hinter dem die ersten Stufen einer ausgetretenen Steintreppe zu sehen waren, die sich in engen Windungen nach oben zog.
    »Bist du sicher?«, fragte er.
    Corinna stülpte die Unterlippe vor. »Ich habe mindestens fünfzig Mal hier gestanden und vor Angst mit den Knien geschlottert, während mein Bruder sich über mich lustig gemacht hat. So etwas vergisst ein Mädchen nicht.« Sie schüttelte den Kopf, wie um eine Frage zu beantworten, die er noch gar nicht gestellt hatte. »Du wartest vielleicht besser hier. Ich weiß nicht, ob die Signori dort oben noch auf mich warten.«
    »Und du hast keine Lust, auch noch auf mich aufzupassen, wenn es so ist.«
    »Du hast dich wohl als Kind nie aus dem Haus geschlichen, ohne dass deine Eltern es merkten?«
    »Meine Eltern hatten kein Haus«, antwortete Andrej. Wenigstens keines, das groß genug gewesen wäre, um sich hinausschleichen zu können.
    »Meine schon«, sagte Corinna. »Und glaub mir, mein Bruder und ich kannten seinen Grundriss wahrscheinlich besser als der Architekt, der es gebaut hat. Allein bin ich schneller. Ich muss nur ein paar Dinge holen.«
    »Zum Beispiel?«
    »Was ein Mädchen eben so braucht, wenn es auf Reisen geht«, sagte Corinna ernst. »Meinen Schmuck, ein wenig Taschengeld, zwei oder drei Schrankkoffer voller Kleider und natürlich meine Schminkutensilien und die eine oder andere Zofe. Das Übliche eben.«
    Andrej seufzte tief. »Das hier ist kein Spaß, Corinna«, sagte er. »Hast du das immer noch nicht verstanden?«
    »Ich habe auch nicht gelacht, oder?«, erwiderte sie, nun endgültig in ernstem Tonfall. »Ich muss nur ein paar Dinge holen und einige Anweisungen geben. Wartest du hier auf mich?«
    Etwas warnte Andrej, es nicht zu tun,

Weitere Kostenlose Bücher